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Die Eurokrise sorgte in vielen L?ndern für leere Kassen und einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen.

Andrea L?sel/Universit?t Bamberg

Weshalb auf dem deutschen Arbeitsmarkt die Besch?ftigtenzahlen weitgehend stabil blieben, erforscht der Soziologe Olaf Struck.

Krisenbew?ltiger Deutschland?

Olaf Struck über die Auswirkungen der Eurokrise auf den Arbeitsmarkt

Rund 3,8 Millionen – das ist die Anzahl an Jobs, die die Krise in der Eurozone bislang gekostet hat. Doch die Unterschiede zwischen den einzelnen L?ndern variieren deutlich:  Griechenland verlor gut eine Million Jobs, Italien etwa 800.000. Der deutsche Arbeitsmarkt hingegen hat sich als vergleichsweise stabil erwiesen. Weshalb und zu welchem Preis, erkl?rt der Soziologe Olaf Struck.

Flexibilisierung von Besch?ftigung – so lautet das Credo, welches von der Europ?ischen Kommission seit einigen Jahren mit aller Vehemenz vertreten wird. ?Die Vorstellung dahinter ist: Der Arbeitsmarkt atmet mit der Wirtschaft mit“, erkl?rt Prof. Dr. Olaf Struck. ?Geht es der Wirtschaft gut, wird eingestellt. Geht es ihr schlecht, wird entlassen.“ Struck ist Inhaber der Professur für Arbeitswissenschaft an der Universit?t Bamberg. Einer seiner Forschungsschwerpunkte sind Arbeitsmarktstrukturen sowie Arbeitsmarktreformen im internationalen Vergleich. In allen L?ndern Europas konnte Struck in den vergangenen Jahren eine Phase der Flexibilisierung von Arbeitsm?rkten beobachten.

Reformen hin zu einem offeneren und mobileren Arbeitsmarkt

So auch in Deutschland: ?Deutschland hatte traditionell einen arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsmarkt, der strengen gesetzlichen Vorgaben folgte“, führt Struck aus. Beispiele hierfür waren ein starker Kündigungsschutz, wenig M?glichkeiten, l?ngerfristig und wiederholt befristet einzustellen und vergleichsweise wenig Leiharbeit.

Geleitet von der Besch?ftigungsstrategie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie der Europ?ischen Kommission wurde der deutsche Arbeitsmarkt in den letzten zehn Jahren stark reformiert. ?Der deutsche Arbeitsmarkt ist flexibler geworden“, bringt Struck die ?nderungen auf den Punkt. Infolge der Agenda 2010 wurde der Kündigungsschutz gelockert und der Einsatz wiederholt befristeter Besch?ftigung erleichtert. Leiharbeit wurde liberalisiert. ?Ein anderes Beispiel sind die Hartz-Gesetze: Durch die Kürzung des Arbeitslosengeldes nach einem Jahr wird der Druck zur Arbeitsaufnahme erh?ht,“ führt der Soziologe weiter aus. Doch trotz dieser Reformen blieben viele gesetzliche Vorgaben bestehen.

Kurzfristiger Erfolg von Reformen

Glaubt man der Europ?ischen Kommission, ist die traditionelle Starrheit des deutschen Arbeitsmarkts eher kontraproduktiv. Sie propagiert offene und mobile Arbeitsm?rkte, die für sie Treiber von wirtschaftlicher Dynamik, Wohlfahrtssteigerungen und mehr Besch?ftigung sind. Und tats?chlich: ?Viele der Reformen zeigten in Deutschland Erfolg“, so Struck. Es gab Besch?ftigungszuw?chse, zum Beispiel durch Leiharbeit und Minijobs. Damit verbunden war auch eine Entlastung der Sozialkassen. Trotzdem vertritt Struck die These: ?Die Flexibilisierung der europ?ischen Arbeitsm?rkte geht an den tats?chlichen Reformnotwendigkeiten vorbei.“

Flexibilit?t schadet in der Krise

Um die Wirtschafts- und Finanzkrise zu bew?ltigten, machten Irland, Griechenland und Spanien vor allem von Flexibilit?tsma?nahmen Gebrauch. Anders hingegen Deutschland: ?Arbeitskr?fte wurden nicht freigesetzt, sondern in den Betrieben gehalten“, fasst Struck die deutsche Krisenbew?ltigungsstrategie zusammen. Um dies zu erreichen, griff man auf bew?hrte, historisch gewachsene Strukturen zurück – jene Strukturen, die von der Europ?ischen Kommission in den Vorjahren als ?zu rigide“ kritisiert worden waren. Die Sozialversicherung, insbesondere die gesetzliche Rentenversicherung, erwies sich als bedeutendes Element zur Krisenüberwindung. ?Sie hielt die Kaufkraft der Rentner aufrecht, da die Rentenanpassung in staatlichen Systemen zeitverz?gert auf der Basis der Lohnentwicklung erfolgt“ so Struck.

Weiterbesch?ftigen statt entlassen

Zudem erm?glichte die Arbeitslosenversicherung durch die Co-Finanzierung von  ?klassischen betriebsinternen Ma?nahmen“ wie Kurzarbeit den Erhalt von sozialversicherungspflichtiger Besch?ftigung. Unternehmen nutzten überdies intern-flexible Arbeitszeitregelungen, wobei gut gefüllte Gleitzeit-, Wochen- oder Jahresarbeitszeitkonten ger?umt wurden. ?Die Arbeit wurde heruntergefahren, der Arbeitsvertrag blieb bestehen“, fasst Struck die Ma?nahmen zusammen. ?Rund 1,2 Millionen Arbeitspl?tze konnten so beibehalten werden, was schlussendlich auch zur finanziellen Stabilit?t der Binnenwirtschaft beitrug“, so Struck. Die h?chsten Anstiege an Arbeitslosigkeit verzeichneten hingegen L?nder wie Spanien, Irland sowie die baltischen L?nder. In diesen fehlen staatliche Instrumente wie etwa Kurzarbeit oder Teilarbeitslosengeld komplett. Teilarbeitslosengeld erh?lt, wer mehreren versicherungspflichtigen Besch?ftigungen nachgeht, und eine davon verliert.

Weshalb die Arbeitgeber versucht haben, auf Entlassungen zu verzichten? Betroffen von der Krise waren hierzulande prim?r erfolgreiche Industrieunternehmen in den Bereichen Automobilbau, Maschinenbau und Chemie. ?In diesen Sektoren sind vor allem beruflich und spezifisch gut qualifizierte Facharbeiter t?tig“, so Struck. ?G?be der Arbeitgeber die weg, würde er wichtiges Know-how verlieren.“

Geringqualifizierte als Krisenverlierer

Opfer der Krise gibt es jedoch auch in Deutschland. W?hrend Facharbeiter von Regelungen wie Kurzarbeit profitierten, sah die Lage für Besch?ftigte in Arbeitsverh?ltnissen mit geringen Qualifikationsanforderungen ganz anders aus. Beispiele sind ungelernte Arbeiter. ?Hier bestand für den Arbeitnehmer kaum ein Anreiz, die Besch?ftigten zu halten“, so Struck. Die Folge: Viele Leiharbeiter wurden entlassen, die Vertr?ge vieler befristet Besch?ftigter nicht verl?ngert. ?Die Schere hat sich in der Krise weiter ge?ffnet“, so Struck. Der beste Stabilit?t und den besten Schutz vor Arbeitslosigkeit verhei?e somit auch hierzulande vor allem eins: Bildung.

Ansprechpartner für Rückfragen (bis 6.8. und ab 30.8.2015)

Prof. Dr. Olaf Struck
Professur für Arbeitswissenschaft
Feldkirchenstrasse 21
Telefon: 0951-863-2690
E-Mail: olaf.struck(at)uni-bamberg.de

Hinweis

Diesen Text verfasste Andrea L?sel für die 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网stelle der Universit?t Bamberg. Er steht Journalistinnen und Journalisten zur freien Verfügung.

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