Kathrin Wimmer/Universit?t Bamberg

Ein Pflaster reicht da nicht: Demenzkranke erhalten deutlich weniger schmerzstillende Medikamente als kognitiv Gesunde.

Kathrin Wimmer/Universit?t Bamberg

Lautenbacher zeigt, wo Schmerzsignale im Gehirn entstehen.

Das Schmerzunglück

Bamberger Psychologe entwickelt Schmerzmessinstrument für Demenzkranke

Ein Spielplatz, ein Missgeschick, ein aufgeschlagenes Knie: Unter Tr?nen zeigt das Kind genau, wo es weh tut. Bei Senioren mit Demenz funktioniert das nicht, da sie Schmerz nicht mehr ausreichend kommunizieren k?nnen. Abhilfe soll ein Schmerzmessinstrument schaffen, das der Bamberger Psychologe Stefan Lautenbacher in internationaler Zusammenarbeit entwickelt hat.

Ein demenzkranker Senior wandert unruhig im Altenheim umher, bei Berührungen schl?gt er wild um sich. Einer Alzheimerpatientin sollen die Z?hne geputzt werden, doch sie st??t die Betreuerin weg. Alltag in Pflegeheimen. Prof. Dr. Stefan Lautenbacher, Inhaber der Professur für Physiologische 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 an der Universit?t Bamberg, sagt: ?Aggression und Agitiertheit, also krankhafte Unruhe, sind h?ufig nicht b?sartig gemeint, sondern ein Hilferuf der Patientinnen und Patienten bei Schmerzen.“

Der Grund für diese Reaktionen: Demenzkranke k?nnen Schmerz wegen ihrer kognitiven St?rung nicht mehr sprachlich pr?zise benennen, da Ged?chtnisleistung, Denkverm?gen oder Kommunikationsf?higkeit im Verlauf der Krankheit immer weiter abnehmen. Sie müssen daher andere Wege nutzen, um Schmerz auszudrücken. Doch diese vielfach nonverbalen Kommunikationsformen sind für die Pflegekr?fte schwer zu deuten oder erzeugen sogar Missverst?ndnisse. ?Es entsteht ein Teufelskreis“, erkl?rt Lautenbacher. ?Eine Pflegekraft, die beispielsweise regelm??ig weggesto?en wird, l?sst vom Patienten ab, Entzündung und Schmerz bleiben somit unentdeckt und unbehandelt.“

Schmerzmessinstrument soll Abhilfe schaffen

Ein einfach anzuwendendes, europaweit gültiges Schmerzmessinstrument in Form eines Fragebogens will nun demenzkranken Patienten und ihren Pflegekr?ften helfen. Lautenbacher hat es zusammen mit einem europ?ischen Forschungsverbund erstellt. Um den Fragebogen entwickeln zu k?nnen, forschten Expertinnen und Experten aus 16 L?ndern unter Lautenbachers Vorsitz dazu, welche nonverbalen Kommunikationswege Demenzkranke nutzen, um Schmerz auszudrücken und wie diese erkannt werden k?nnen. Finanziell gef?rdert wurde das interdisziplin?re Projekt – als ?Action“ bezeichnet – mit vierj?hriger Laufzeit von der European Cooperation in Science and Technology (COST).

Schmerzcodierung und -decodierung international erforscht

Lautenbacher zum Beispiel führte zwei zus?tzlich durch die Oberfranken-Stiftung finanzierte Studien durch und besch?ftigte sich mit der Decodierung von Schmerz. Er untersuchte also, wie kognitiv Beeintr?chtigte Schmerz ausdrücken und was davon Pflegekr?fte und Angeh?rige erkennen k?nnen. Dafür lud er etwa 60 Pflegekr?fte und Angeh?rige anderer Berufe ein und zeigten ihnen Videoaufnahmen aus früheren Studien, die mimische Reaktionen von demenzkranken und gesunden Probanden mit Schmerzen zeigen. Die Untersuchungsteilnehmer sollten beurteilen, wie viel Schmerz sie in den Gesichtern sahen. In einer weiteren Studie schrieb er über 250 Alten- und Pflegeheime an und lie? rund 400 Altenpfleger mit dem neuen Fragebogen die Mimik ihrer Schutzbefohlenen bei potentiell schmerzhaften Verrichtungen wie K?rperhygiene, Aufstehen oder Umbetten beurteilen. Daraus war abzuleiten, auf welche Beobachtungen Altenpfleger ihr Urteil stützen, dass ein Heimbewohner unter Schmerzen leidet.

Im Anschluss an ihre eigenen nationalen Studien diskutierten die europ?ischen Expertinnen und Experten ihre Ergebnisse. Die Mimik von demenzkranken Seniorinnen und Senioren bleibt lebendig, aber es gibt Unterschiede. Frauen k?nnen mimisch differenziertere Botschaften geben als M?nner, und auch charakterliche Eigenheiten kommen dazu: Wer schon als Gesunder eher mimisch still war, wird im Alter keine h?here Ausdrucksf?higkeit aufweisen.

Toolkit hilft Pflegenden, Schmerz zu erkennen

Das Ergebnis: Drei Kategorien bieten die besten Anzeichen für Schmerz, n?mlich K?rperhaltung, Mimik und Vokalisation. Das unruhige Umherwandern im Altenheim, Hinken oder Reiben einer K?rperstelle kann ebenso ein Zeichen von Schmerz sein wie verschiedene Gesichtsausdrücke. Die menschliche Mimik wird von über 44 Muskelgruppen gesteuert und Schmerz beispielsweise durch das Zusammenziehen der Augenbrauen oder zusammengebissene Z?hne kommuniziert. ?u?erungen wie ?Au“, ?o weh“ oder verschiedene Atemstile, Klagen und St?hnen funktionieren ebenso als Schmerzindikatoren.

Die 62 europ?ischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der COST-Action entwickelten auf Basis dieser Untersuchungsergebnisse ein Schmerzmessinstrument oder ?Toolkit“ für Patientinnen und Patienten mit kognitiven St?rungen und trugen Testfragen – sogenannte Items – zusammen. Aktuell listet der Fragebogen 36 Anzeichen für Schmerzen auf, die die Pflegekr?fte durch Beobachtung ihrer Patientinnen und Patienten entdecken k?nnen. Das Toolkit sollte im Idealfall w?hrend oder sp?testens 24 Stunden nach der Beobachtung ausgefüllt werden. Alle drei Kategorien, K?rperhaltung, Mimik und Vokalisation, werden darin abgefragt. Eine Frage thematisiert beispielsweise das ?Hochziehen der Oberlippe“ und erkl?rt den Gesichtsausdruck: ?Oberlippe ist angehoben, bis hin zum Nase rümpfen“. Die Pflegekr?fte k?nnen zudem festhalten, ob dieser Gesichtsausdruck ?überhaupt nicht“, ?geringfügig“, ?m??ig“ oder ?stark“ auftritt. Die Auswertung aller Fragen l?sst erkennen, ob Schmerzen vorliegen und wenn ja, in welchem Ma?e.

Schulungen gew?hrleisten Praxisn?he

Mittlerweile ist das Messinstrument in sechs Sprachen übersetzt und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Um seine Forschungsergebnisse auch in den pflegerischen Bereich zu tragen, plant Lautenbacher ab 2016 audiovisuelle Aufkl?rungsarbeit und halbstündige Schulungen für Pflegekr?fte. Seine Motivation, auch nach der COST-Action am Thema Schmerz weiter zu forschen: ?Eine unzureichende Schmerzbehandlung bei Demenzkranken ist kein Einzelfall, sondern ein fl?chendeckendes Problem.“

Aktuell, so nimmt Lautenbacher an, br?uchten von den rund 1,5 Millionen Patientinnen und Patienten mit Demenz in Deutschland etwa mehr als die H?lfte eine st?ndige Schmerzversorgung. Klinische Studien zeigen aber, dass ?ltere Menschen, die an einer Demenzerkrankung leiden, im Vergleich zu kognitiv gesunden Personen gleichen Alters deutlich weniger Schmerzmittel bekommen. Nach einer Hüft-OP beispielsweise erhielten die demenzkranken Patientinnen und Patienten lediglich ein Drittel der Schmerzmittelmenge, die die gesunde Vergleichsgruppe nach der gleichen OP n?tig hatte. ?Demenzkranke Menschen leiden gro?es Schmerzunglück“, sagt Lautenbacher. ?Ich m?chte einstehen für die, die sprachlos geworden sind und eine Lobby brauchen.“

Ansprechpartner für Rückfragen

Prof. Dr. Stefan Lautenbacher
Professur für Physiologische 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网
Tel.: +49 (0)951/863-8151
Mail: stefan.lautenbacher@uni-bamberg.de

Hinweis

Diesen Text verfasste Kathrin Wimmer für die 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网stelle der Universit?t Bamberg. Er kann für redaktionelle Zwecke verwendet werden.

Bei Fragen oder Bilderwünschen kontaktieren Sie die 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网stelle bitte unter der Mailadresse medien(at)uni-bamberg.de oder Tel: 0951-863 1023.