Das Schmerzempfinden ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich (Bild: Photocase)

Claudia Huber setzt den "Druckalgometer" an

Michael Heesen vom Bamberger Klinikum freut sich über die Zusammenarbeit mit der Universit?t

"Hypervigilanz" - unter diesem Konzept untersucht Stefan Lautenbacher das postoperative Schmerzempfinden

Schmerz ist nicht gleich Schmerz

Warum die 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 in der Chirurgie und An?sthesiologie ben?tigt wird

Den Schmerz nach Operationen vorhersagen zu k?nnen, bedeutet, ihn besser behandeln zu k?nnen. Ein Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Physiologische 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 hat ein Konzept entwickelt, das für das Verst?ndnis postoperativer Schmerzen von hohem Wert sein k?nnte.

Wie eine vorsintflutliche Pistole sieht das Ger?t aus, das Claudia Huber, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Physiologische 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网, auf dem Unterarm ihrer Kollegin Julia F?rster ansetzt. Das Ger?t übt einen Druck aus, der irgendwann schmerzhaft wird. Wenn dieser Punkt erreicht ist, muss Julia F?rster mit der anderen Hand auf einen Knopf drücken. Nur wann ist dieser Punkt erreicht? Genau darum geht es.

Schmerz ist eine überlebenswichtige Gabe, werden doch durch ihn drohende oder bereits stattfindende Sch?digungen des Organismus gemeldet. Schmerz ist zun?chst und vor allem eine subjektive Erfahrung, die kaum zu objektivieren ist, eine Wahrnehmungsform, bei der dem Psychischen nicht immer etwas Physisches als Ursache zugeordnet werden kann, wenn man beispielsweise an Phantomschmerzen denkt. Der Schmerz ist ein komplexes Konstrukt, es handelt sich nicht nur um die Wahrnehmung sinnlicher Eindrücke, Schmerz ist auch ein Motiv, eine Emotion. Eine Vielzahl von Eigenschaften des wahrnehmenden Individuums und der Wahrnehmungssituation beeinflussen die Schmerzempfindung. Erbanlagen sind natürlich wichtig, Geschlecht und Alter; vermutlich der weibliche Menstruationszyklus, Schwangerschaft, spezifische Tagesrhythmen, Ern?hrung und Alkohol- und Nikotinkonsum. Genauso wahrscheinlich ver?ndert sich die Schmerzwahrnehmung bei psychischen St?rungen. Ein depressiver Mensch leidet anscheinend an einer st?rkeren Anf?lligkeit für Schmerzbeschwerden, ein Schizophreniekranker an chronischen Angstzust?nden und Panikattacken bis zu teilweise bizarr anmutenden Ver?nderungen des Schmerzerlebens.

Postoperative Schmerzen variieren in ihrer Auspr?gung

Mit dem Problem, das vielschichtige Ph?nomen Schmerz in seiner Gesamtheit zu erfassen, besch?ftigen sich daher nicht nur Mediziner, sondern auch Anthropologen, Philosophen und Psychologen. Ein Forschungsprojekt des Lehrstuhls für Physiologische 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 der Otto-Friedrich-Universit?t Bamberg, initiiert und geleitet von Prof. Dr. Stefan Lautenbacher, stellt sich dieser interdisziplin?ren Herausforderung. In Kooperation mit Prof. Dr. Michael Heesen, Chefarzt der Klinik für An?sthesiologie und operative Intensivmedizin am Klinikum Bamberg, Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Schüttler, Dr. Reinhard Sittl sowie PD Dr. Carla Nau von der Klinik für An?sthesiologie des Universit?tsklinikums Erlangen rückt dabei eine besondere Auspr?gung des Schmerzes in den Mittelpunkt des Interesses: der postoperative Schmerz. Dieser variiert bei identischer Organst?rung und identischen Operationsverl?ufen enorm in seiner Intensit?t. Ein Teil der Behandelten hat über Monate, sogar Jahre Beschwerden, w?hrend andere schon nach kurzer Zeit schmerzfrei sind. Man vermutet, dass bei einem Anteil von 10-20% der Patientinnen und Patienten der hohe Schmerzmittelbedarf nicht in Relation zu dem vorgenommenen Eingriff steht. K?rperliche Ursachen spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle, sie sind aber nicht allein ausschlaggebend. Man wei?, dass auch psychische Krankheiten und Zust?nde wie Depressionen oder Stress Einfluss auf postoperative Schmerzen haben, aber man kann ihnen noch keine überragende prognostische Nützlichkeit zuerkennen. Folglich fragen sich Stefan Lautenbacher und sein Team: ?Geht es noch besser?“ Sie meinen, mit der ?Hypervigilanz“ ein Konzept weiterentwickeln und nutzen zu k?nnen, das für das Verst?ndnis postoperativer Schmerzen von hohem Wert w?re.

?Hypervigilanz“: übertriebene Aufmerksamkeit

?Vigilanz“ bedeutet so viel wie ?Wachheit“, ?Wachsein“. Demnach bezeichnet ?Hypervigilanz“ eine erh?hte Aufmerksamkeit für bestimmte Umweltgegebenheiten, das Gefühl, ?immer auf der Hut“ sein zu müssen. Entstanden ist der Begriff in der Forschung über Angstst?rungen, in der es als weitgehend gesichert gilt, dass Angstpatienten eine selektive und verzerrte Informationsverarbeitung im Sinne einer Fokussierung auf bedrohliche Stimuli aufweisen. Jemand, der beispielsweise unter H?henangst leidet, wird sich bei einer Bergwanderung nahezu ausschlie?lich auf die ansteigende H?he und den gefahrvoll anmutenden Ausblick in die Tiefe konzentrieren. Lautenbacher, der sich seit vielen Jahren mit der Psychophysik und experimenteller und klinischer Schmerzerforschung, insbesondere mit chronischem Schmerz befasst, instrumentalisiert dieses Ph?nomen für seinen Arbeitsbereich: ?Chronische ?Hypervigilanz’ geht mit einer immanenten Beobachtung des K?rpers, aller k?rperlichen Vorg?nge und von allem, was Schmerz ausl?sen k?nnte, einher. Spürt die ?hypervigilante’ Person einen leichten Druck im linken Bein, dann wittert sie sogleich die Gefahr herannahender Schmerzen. Ein gesunder Mensch würde derselben ?u?erung keinerlei Bedeutung zumessen.“

Eine einheitliche Definition des ?Hypervigilanz-Konzepts“ steht noch aus. Nach Lautenbacher sinkt bei ?hypervigilanten“ Patienten die Schmerz- und Toleranzschwelle, die selbstberichteten Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfunktionen lassen ein st?ndiges Beobachten und ?ngstliches Bewerten von Schmerzsignalen vermuten. Es ist wahrscheinlich, dass diese Individuen ein erh?htes Risiko für die Entwicklung anhaltender und sogar chronischer Schmerzen aufweisen. Der Einfluss auf die Schmerzverarbeitung ist dabei ein sehr direkter, psychologisch beschreibbarer, der zu einer personenunterscheidenden Charakterisierung geeignet ist – er k?nnte deshalb für die Vorhersage des Erfolgs chirurgischer Behandlungen tats?chlich sehr relevant sein. Einige wenige, noch verhaltene Hinweise unterstützen diese Vermutung bislang schon empirisch. So dokumentiert eine Studie, dass Frauen, die zu einer katastrophisierenden Bewertung von Ereignissen neigen, kurzfristig nach einer Brustkrebsoperation eine gr??ere postoperative Schmerzst?rke und einen erh?hten Schmerzmittelkonsum haben. ?Katastrophisieren“ ist eine der ?Hypervigilanz“ nahe stehende Erscheinung, bei der jedoch der Bedeutungsschwerpunkt auf der starken Emotionalit?t liegt.

Folgenreiche Nebenwirkungen von Schmerzen

Das ?Hypervigilanz-Konzept“ wird nun an zwei fr?nkischen Krankenh?usern erprobt. Michael Heesen vom Bamberger Klinikum hat vor allem den praktischen Wert des Projekts im Sinn: ?Uns geht es nicht um Kausalit?t. Der klinische Aspekt zielt darauf ab, die Krankenversorgung zu verbessern. Wir m?chten mit der Studie in erster Linie Faktoren herausarbeiten, anhand derer sich vorhersagen l?sst, ob ein Patient eher starke oder eher weniger starke Schmerzen nach einer Operation haben wird. Momentan richten wir uns nach Gr??en wie Konstitution, Gewicht, Alter und Geschlecht. Doch auch andere Faktoren spielen hierbei eine Rolle: man merkt, dass das eigene Fachgebiet begrenzt ist. Wir haben bewusst den Blick über den Tellerrand gewagt und sind deswegen froh, dass wir mit Professor Lautenbacher von der 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 zusammenarbeiten k?nnen.“ Eine Operation geht immer mit Schmerzen einher, sodass der Patient auch immer ad?quat mit Medikamenten versorgt werden muss. Hierbei k?nnen zwei unerwünschte Zust?nde auftreten: Der Patient kann eine zu hohe oder eine zu niedrige Dosierung bekommen. ?Ist die Dosis zu klein, dann kann das Konsequenzen haben. Schmerz hat eine Menge Nebenwirkungen, die wir eigentlich zu vermeiden suchen. Zun?chst ist Schmerz natürlich eine Missempfindung, die der Patient ablehnt. Patientenkomfort w?re also ein Grund, den Schmerz zu minimieren. Ein anderer w?re medizinische Komplikationen, die der Schmerz ausl?st oder begünstigt.“ Durch starke Schmerzen kann ein bestimmter Teil des Kreislaufsystems, das sympathische Nervensystem, aktiviert werden. Dies kann wiederum zu Herzinfarkt, Thrombose, Embolien, Lungenentzündung und Wundheilungsst?rungen führen. ?Deshalb ist es sehr wichtig, den Schmerz vernünftig zu behandeln, und deshalb muss man eine Unterdosierung von Medikamenten vermeiden“, erkl?rt Heesen. Eine ?berdosierung ist ebenso sch?dlich, denn starke Schmerzen werden mit starken Mitteln behandelt, meist mit Opiaten, Morphinabk?mmlingen, deren Liste an Nebenwirkungen erschreckend lang ist.

K?nnte man ?Problempatienten“ mit erh?hter Empfindlichkeit gegenüber Schmerzen bereits vor dem operativen Eingriff herausfiltern, dann würde das ?rztliche und pflegerische Personal im Vorfeld effektiver handeln und vor allem durch Entspannungsübungen und aufkl?rende Gespr?che über Schmerzwahrnehmungsmechanismen und -bew?ltigung nachtr?glichen Negativverl?ufen vorbeugen k?nnen. Dies w?re von Vorteil für den Leidenden selbst, aber auch für die medizinische Institution, die ihre Ressourcen effizient einsetzen m?chte. M?glich ist das nur, wenn man die Problematik zu erkennen vermag.

Unterschiedliche Testverfahren

Dies versuchen die Forscher mit multimethodischen, einander erg?nzenden Testverfahren zu leisten. Die Projektteilnehmer werden vor der Operation mit Computertests zur Aufmerksamkeit für schmerzbezogene Informationen und zur Schmerzsensibilit?t sowie mit Frageb?gen untersucht. Nach der Operation werden anhand von Einsch?tzskalen die St?rke des Schmerzes und der Schmerzmittelverbrauch gemessen. In Erlangen geschieht dies mit langfristiger Perspektive – die Patienten werden vor dem chirurgischen Eingriff sowie eine Woche, drei, sechs und zw?lf Monate danach befragt – in Bamberg mit kurzfristiger Perspektive, ausschlie?lich vor und nach der Operation.

In Bamberg führt Claudia Huber am Abend vor der Operation mit den Patienten einen ?Dot-Probe-Task“ durch. Sie verr?t den Testpersonen lediglich, dass es sich um einen Aufmerksamkeitstest handle, "bei dem am Bildschirm zun?chst in der Mitte ein Kreuz als Fixierungspunkt eingeblendet wird. Dann wird für einige Sekunden ein Wortpaar – ein Wort oben, ein Wort unten –  pr?sentiert. Nachdem das Wortpaar verschwunden ist, erscheint oben oder unten ein Punkt. Auf diesen Punkt sollten Sie so schnell wie m?glich durch Tastendruck reagieren. Dann kommt wieder das Kreuz, dann das n?chste Wortpaar.“ Die zwei W?rter sind so kurz auf dem Bildschirm zu sehen, dass sie gerade noch lesbar sind – dadurch vollzieht sich eine unbewusste Reaktion. Sie geh?ren zwei Gruppen an: neutrale W?rter wie ?Stuhl“, ?Tisch“, ?Heft“ werden solchen entgegengestellt, die Schmerz, soziale Bedrohung oder positive Gefühle suggerieren, etwa ?m?rderisch“, ?blutig“, ?Hohn“, ?peinlich“. Nach einigen Minuten ist der Test beendet, und Claudia Huber kl?rt den Probanden auf: ?Es geht bei dieser Untersuchung darum, dass wir den Einfluss von Emotionen auf die Aufmerksamkeitslenkung ermitteln wollen. Die W?rter, die vorgekommen sind, waren solche, die in einer vorherigen Studie als entweder neutral, positiv oder negativ ermittelt wurden. Wir versuchen herauszufinden, ob die Reaktionszeiten auf den Punkt damit zusammenh?ngen, welche Emotionen die jeweiligen W?rter ausl?sen.“ Bewusst verschweigt die Projektmitarbeiterin den speziellen Charakter der ?negativen“ W?rter für den Fall, dass die Patienten sich untereinander austauschen, und damit die Ergebnisse verzerrt werden. Der wissenschaftliche Erkenntniswert liegt darin, dass bei ?hypervigilanten“ Personen speziell die Schmerzw?rter die Aufmerksamkeit anziehen, sie also besser reagieren, wenn der Punkt an der Stelle des Schmerzwortes erscheint, und schlechter, wenn der Punkt an einer anderen Stelle auftaucht.

Im Testablauf folgt die Schmerzschwellenmessung dann mit bereits erw?hntem ?Druckalgometer“, der vorsintflutlichen Pistole.

Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten

Da es sich bei Schmerz immer um eine subjektive Empfindung handelt, kann seine Charakteristik am besten im Gespr?ch erfasst werden. Frageb?gen sind ein ad?quater Ersatz eines solchen Interviews und haben sich bei wissenschaftlichen Untersuchungen bew?hrt. Zur Identifizierung ?hypervigilanter“ Patienten werden daher eine Reihe von Frageb?gen eingesetzt. In einem von ihnen hei?t es einleitend: ?Wir interessieren uns für die Arten von Gedanken und Gefühlen, die Sie haben, wenn Sie Schmerzen empfinden. Im Folgenden werden 13 Aussagen aufgelistet, die verschiedene Gedanken und Gefühle beschreiben, die mit Schmerzen verknüpft sein k?nnen.“ Mithilfe einer Skala soll das Ausma? angegeben werden, in welchem man ?das Gefühl hat, dass man es nicht mehr aushalte“, ?st?ndig daran denke, wie sehr es weh tut“, ?sich fragt, ob etwas Ernstes passieren wird“.

Das Forschungsprojekt l?uft in Bamberg seit über einem halben Jahr, in Erlangen bereits etwas l?nger. Es wird von der Oberfrankenstiftung, der Sozialstiftung Bamberg, der Otto-Friedrich-Universit?t Bamberg, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Universit?tsklinikum Erlangen gef?rdert und ist von den Ethikkommissionen der kooperierenden Universit?ten genehmigt worden. Es überzeugt durch seine doppelte Zielsetzung. Der Versuch, Schmerz zu ergründen, zu verstehen, wie er entsteht und wie er beeinflusst wird, ist ein gewichtiger, befasst er sich doch mit einem essenziellen Merkmal des menschlichen Organismus. Nicht minder relevant ist der praktische Bezug, denn neben Grundlagenforschung soll schlie?lich dem zu Behandelnden geholfen und Schmerzlinderung betrieben werden. Wie Michael Heesen es ausdrückt: ?Das ist eine Studie, bei der es nicht nur rein um den Erkenntnisgewinn, sondern auch um die Umsetzbarkeit in der Praxis geht.“