Das n?rdlichste und gemessen an Fl?che und Bev?lkerungszahl (1,34 Millionen Einwohner) kleinste Land des Baltikums: Estland (Quelle:wikimedia.org)

Tallinns Stra?enbahnen: Das Hauptverkehrsmittel in der Hauptstadt (Fotos: Nils Ebert).

Im Schneesturm: Der Winter ist in Estland bereits im Oktober eingebrochen. Im Januar liegen die Temperaturen durchschnittlich zwischen -1 und -6 Grad Celsius.

Ein Blick auf Tallinns Altstadt im Herbst. Neben den Befestigungsbauten der Stadtmauer sind im Hintergrund die Nikolaikirche (links), die Alexander-Newski-Kathedrale (Mitte) und die Domkirche (rechts) zu erblicken.

W?lder, W?lfe, Weltkulturerbe

Ein Reisebericht aus Estland

Tallinn im Januar: Im Winter l?sst sich die Sonne nur wenige Stunden am Tag blicken. Sie geht gegen 9 Uhr auf und gegen 15 Uhr unter. Der Tag ist durchschnittlich sechs Stunden lang. Durch die Ostseelage sind die Temperaturen aber noch vergleichsweise milde. Zwischen minus ein und minus sechs Grad herrschten in den letzten Wochen. Derzeit liegen rund 20 Zentimenter Schnee und von vielen Hausgiebeln h?ngen Eiszapfen in Doppelreihen herab. Traumhaft! Seit August lebe ich in Estland. Bereits im Januar 2012 hatte ich mich über das Akademische Auslandsamt der Universit?t Bamberg um einen Studienplatz an der Tallinn University beworben. In Estland war ich vorher noch nie.

Als ERASMUS-Student war für mich das Kursangebot der Tallinn University ausschlaggebend. Neben einem gro?en Angebot an englischsprachigen Kursen in den 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 Sozialwissenschaften reizte mich die M?glichkeit, Kurse an der Baltic Film and Media School besuchen zu k?nnen, einer der gr??ten englischsprachigen Film- und Medienschulen Europas.

14 grammatische F?lle

Mein ERASMUS-Leben begann in Estlands zweitgr??ter Stadt Tartu (100.000 Einwohner). Dort besuchte ich zun?chst einen Intensivsprachkurs Estnisch. Die Europ?ische Kommission f?rdert solche Kurse für Sprachen, die weniger weit verbreitet sind oder seltener gelehrt werden, und so ist die Teilnahme kostenlos. Estnisch z?hlt zur finno-ugrischen Sprachfamilie. Es ist eng mit dem Finnischen und weitl?ufig mit dem Ungarischen verwandt. Gemeinsam mit Studierenden aus Finnland, der Türkei, Italien, Ungarn, Lettland und auch Deutschland setzte ich mich für gute zwei Wochen mit den 14 estnischen F?llen, den zwei unterschiedliche Infinitiven und der klangvollen, aber nicht einfach zu erlernenden Aussprache des Estnischen auseinander. Immerhin konnte ich einige Grundzüge erlernen und die Komplexit?t der Sprache erahnen.

Tallinn und der Tourismus

Eine vierstündige Fahrt durch gro?fl?chige Wald- und Moorgebiete in einem Zug aus Sowjetzeiten brachten mich zweieinhalb Wochen sp?ter nach Tallinn. Die 400.000 Einwohner z?hlende Hauptstadt ist Dreh- und Angelpunkt jeder Reise durch Estland. 2011 war sie europ?ische Kulturhauptstadt und pr?sentierte sich als bunte Metropole. Die mittelalterliche Altstadt ist umgeben von Wolkenkratzern und um das Zentrum herum finden sich gro?fl?chige Wohngebiete. Im Hafen legen mehrmals t?glich gro?e Kreuzfahrtschiffe an und bringen Reisende in die ehemalige Hansestadt. Viele Finnen aus dem nur 80 Kilometer entfernten Helsinki nutzen die F?hrverbindung, um günstigen Alkohol einzukaufen.

Ich zog in eine gemeinsame Wohnung mit einer estnischen Freundin, die ich bereits in Bamberg kennengelernt hatte. Dort studierte sie im Rahmen des ERASMUS-Programms für zwei Semester Germanistik. Durch Zufall und Glück suchte sie im selben Zeitfenster wie ich eine Unterkunft in Tallinn. Nun wohnen wir gemeinsam in der Tallinner Altstadt, die mich an Bamberg erinnert. 1997 wurde sie zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt. Viele der Bauten wurden zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert errichtet. Die kleinen Gassen, der gro?e mittelalterliche Rathausplatz und die in weiten Teilen erhaltenen Stadtmauern und Befestigungsbauten ziehen eine Vielzahl von Touristen aus der ganzen Welt an. Im Dezember beherbergt der Rathausplatz einen kleinen, aber sehr sch?nen Weihnachtsmarkt. 1441 soll hier laut historischer Urkunde gar der erste Weihnachtsbaum weltweit aufgestellt worden sein.

Und da ist es: Bier aus Bamberg

In der Nachbarschaft entdeckte ich bald eine Kneipe, in der es tats?chlich das Schlenkerla Rauchbier aus Bamberg zu kaufen gibt. Ich bestellte eine Flasche und trank sie gemeinsam mit Freunden aus Polen und Finnland. Die waren gleich begeistert und versprachen – sp?testens nach meinem Exkurs über die fr?nkische Braukultur – einmal nach Bamberg kommen. In Estland gibt es zwei gro?e Industriebrauereien. Kennt man das fr?nkische Bier, schmeckt das estnische aber leider nicht.

Seminare im Regionalkrankenhaus

Im September begann das neue Semester. Die ersten Tage an der neuen Universit?t waren aufregend. Der zentrale Campus der Tallinn University wurde in den letzten Jahren gro?fl?chig umgebaut und vereint nun einen Gro?teil der Tallinner Fakult?ten. Leider war das neue Geb?ude der Baltic Film and Media School entgegen der Planungen noch nicht zum neuen Semester fertig geworden. In den ersten Wochen fanden die Kurse also noch in dem alten Geb?ude in Mustam?e statt, das rund 20 Busminuten vom Zentrum entfernt ist. Die Film- und Medienschule teilt sich den Standort mit der Verwaltung des nahe gelegenen Regionalkrankenhauses und von au?en ist nicht zu erkennen, dass hier ein bedeutender Teil der Universit?t untergebracht ist. Aber Mitte Oktober, sechs Wochen nach Semesterbeginn, wurde der neue Standort feierlich er?ffnet.

Tanzen in verlassenen Fabrikhallen. Tallinns morbider Charme

Tallinn hat eine Vielzahl an spannenden kulturellen Veranstaltungen zu bieten, viele davon in alten Fabrikbauten, die ihren sehr eigenen, morbiden Charme haben. Im September fand das Stalker-Festival statt, eine Veranstaltung für elektronische Musik, in jener Fabrik, in welcher der russische Regisseur Andrej Tarkowskij 1979 Gro?teile seines gleichnamigen Science-Fiction-Films drehen lie?. In einer überdimensionalen Halle kamen einige hundert Menschen zusammen, um zu Videoprojektionen und experimenteller Musik zu tanzen.

Es quietscht und holpert: Jeden Morgen in der Stra?enbahn

Gew?hnt habe ich mich auch an die Fahrten in Tallinns Stra?enbahnen. Die Wagen wurden in den 1960er und 1970er Jahren gebaut und teils aus Ostdeutschland bezogen. Die Stra?enbahn ist das Rückgrat von Tallinns ?ffentlichem Personen-Nahverkehr, obwohl es nur vier Linien gibt.

2013 begann in Tallinn ein interessantes Pilotprojekt: Einwohner k?nnen seit dem ersten Januar alle Busse, Trolleys und Stra?enbahnen kostenlos nutzen. Aber immer herrscht in den Stra?enbahnwagen ein leichter Alkoholgeruch. Estland hatte bis zur Weltwirtschaftskrise gute Finanzzahlen, das Bruttoinlandsprodukt wuchs nach Ende des Kalten Krieges stetig und die Arbeitslosenzahl halbierte sich phasenweise. Dennoch sind viele Menschen beim estnischen Aufschwung auf der Strecke geblieben.

Im Februar werde ich nach einem halben Jahr in Estland nach Bamberg zurückkehren. Der Abschied wird mir schwerfallen. Aber ich freue mich auf mein Bamberg.