Afghanische Kinder tragen Lieder anl?sslich der Einweihung eines Ausbildungszentrums in Andkhoi vor (Bilder: Christine N?lle-Karimi)

Afghanische Oberstufenschüler beim Computerkurs im Ausbildungszentrum in Andkhoi

Schulkinder der Daulat Gildi Fidaee Schule freuen sich über ihre neuen Schreibhefte

Christine N?lle-Karimi (2. v. r.) und Mutter Ursula N?lle besuchen VUSAF-Mitarbeiter Rahmanqul und seine Familie. Rahmanqul fiel im Februar einem Attentat zum Opfer

- Hanna Spengler

Kindern eine Zukunft schenken

Christine N?lle-Karimi engagiert sich seit mehr als zwei Jahrzehnten in Afghanistan

Als Christine N?lle-Karimi 1976 zum ersten Mal Afghanistan bereist, wei? sie nicht, wie pr?gend dieser Besuch für ihre pers?nliche Zukunft und die Zukunft vieler Menschen dieses Landes sein wird.

?Was mich an diesen fernen Ort trieb, war schlicht der Reiz des Ungew?hnlichen“, erinnert sich die seit 2006 am Lehrstuhl für Iranistik angestellte wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universit?t Bamberg. Politische Absichten hatte die in Hamburg aufgewachsene Globetrotterin damals keine. ?Die Ausstrahlung und die gro?e Eigenst?ndigkeit der Menschen dieses Landes haben mich beeindruckt“, sagt sie. Nach vierw?chigem Aufenthalt in Afghanistan steht für die damals 18-J?hrige fest: Sie m?chte die Sprache lernen, um die ?Einbahnstra?e in der Kommunikation zu überwinden“.

In Hamburg studiert sie zun?chst Iranistik, Anglistik und V?lkerkunde und macht anschlie?end in Berkeley ihren M. A. in Persischer Literatur, Urdu und Sufismus. 1982 geht die Kulturinteressierte für ein Jahr nach Pakistan und nimmt dort an einem Sprachprogramm teil. ?Hier liegen auch die Wurzeln der Vereinsgründung“, sagt N?lle-Karimi zurückblickend. ?Meine Mutter besuchte mich damals für drei Wochen. Nach anf?nglicher Skepsis entwickelte sie gro?en Spa? und Interesse an der neuen Kultur. Ihr erging es somit genauso wie mir damals 1976.“

Der Beginn einer Lebensaufgabe

Auf Einladung eines Freundes, der bei einer Hilfsorganisation t?tig ist, besuchen Mutter und Tochter kurz darauf gemeinsam ein Flüchtlingslager in Nasirbagh bei Peshawar. Dort, an der Grenze zu Afghanistan, finden damals drei Millionen afghanische Flüchtlinge Zuflucht. Die Konfrontation mit den schockierenden politischen und sozialen Umst?nden und die unzureichende medizinische Versorgung hinterlassen bei den deutschen Frauen ihren Eindruck: ?Vor allem die Bilder der vielen verwahrlosten Kinder, die ohne Betreuung den Lageralltag fristeten, sind meiner Mutter und mir noch heute unvergesslich“, blickt die Iranwissenschaftlerin zurück. ?Einen geregelten Schulalltag suchte man in den Lagern vergebens – von Bildungsm?glichkeiten für M?dchen ganz zu schweigen.“

Den ausschlaggebenden Impuls, sich für die Bildung von afghanischen Flüchtlingskindern einzusetzen, gab die Begegnung mit Nazaneen Jabbarkhel. Die Afghanin plante damals, eine M?dchenschule bei Peschawar zu gründen. R?umlichkeiten waren bereits gemietet, die Zustimmung der Eltern und der pakistanischen Regierung eingeholt und Lehrkr?fte akquiriert. ?Was in der Hauptsache fehlte, war Geld“, erinnert sich N?lle-Karimi. Zurück in Deutschland beginnt ihre Mutter zu sammeln. ?berall in ihrem Umfeld bat sie um finanzielle Unterstützung für das Schulprojekt. 1984 kommt es zur Vereinsgründung.
Heute, 24 Jahre sp?ter, arbeiten 180 Mitarbeiter in Deutschland und Afghanistan für den Verein ?Afghanistan Schulen“. ?Die Idee, Jugendlichen eine Alternative zum Kriegshandwerk zu bieten und afghanischen Flüchtlingskindern Bildung und damit eine Rückkehr nach Afghanistan zu erm?glichen, markiert den Anfang eines bis heute gut funktionierenden Netzwerkes von afghanischen und deutschen Mitarbeitern“, sagt N?lle-Karimi.

Zun?chst unterstützt der Verein nur das Schulprojekt von Nazaneen Jabbarkhel. Bald stellt sich jedoch heraus, dass Schulen direkt in den Lagern n?tig sind. In einfacher Lehmbauweise im Transitlager am Stadtrand von Peshawar werden mit Unterstützung von ?Afghanistan Schulen“ erste Klassenr?ume gebaut. Im Frühjahr 2002 besuchen bereits 3500 Jungen und M?dchen die Lagerschulen des Vereins. Auch die Arbeit in Afghanistan beginnt mit einem pers?nlichen 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网. Mudjahedin-K?mpfer aus Andkhoi und den umliegenden D?rfern bitten die Organisation, ihnen beim Wiederaufbau ihrer Schulen in ihren Heimatd?rfern zu helfen. Kurz darauf werden in Mirabad eine Dorfschule und in Dayakchakhana ein Schulgeb?ude errichtet. ?Unsere St?rke war immer der unmittelbare 188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网 zu den Menschen vor Ort und den Schulverantwortlichen“, so die Wissenschaftlerin über ihren Verein, der auch unter dem Namen VUSAF (Union of Assistance for Schools in Afghanistan) bekannt ist.

Profis in Sachen Schulbau

Vom Neubau über die Grundsanierung, von der Errichtung von Wasserreservoirs und Brunnen bis hin zu der Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien: Die ehrenamtlichen Mitglieder des Vereins sind mittlerweile Profis, wenn es um den Bau und die Betreuung von Schulen geht. Allein in Andkhoi, in der Steppenregion Nord-West-Afghanistans, wurden seit Vereinsgründung 16 Schulgeb?ude neu gebaut und sechs grundsaniert. Erst 2006 wurde ein Ausbildungszentrum in Andkhoi neu er?ffnet, in dem Oberstufenschüler berufsvorbereitende Seminare besuchen k?nnen. Das neu etablierte Bildungsangebot ist vielf?ltig: Englisch-, Computer-, N?h,- und Tischlerkurse k?nnen hier von jungen Frauen und M?nnern besucht werden. Zus?tzlich werden die vom Verein unterstützten Schulen in regelm??igen Abst?nden von einem Arzt betreut.

Mit der Arbeit vor Ort ist es jedoch nicht getan: Ein gro?er Teil der Energie gehe in die Bildungsarbeit und in die Spendenakquisition in Deutschland, so N?lle-Karimi. ?Wir halten Vortr?ge, stellen eine Ausstellung zur Verfügung und organisieren Schulpatenschaften.“ Zweimal im Jahr reisen Mitglieder des Vereins aus Deutschland nach Afghanistan, um die Schulprojekte vor Ort zu besuchen.
?ber mangelnde Akzeptanz in der Bev?lkerung kann der Verein nicht klagen: Die Bemühungen, Schulen aufzubauen und auszustatten, werden von den Einheimischen begeistert aufgenommen. ?Die Menschen selbst sind die Initiatoren und die Betreiber unserer Projekte“, sagt N?lle-Karimi. Das Motto des Vereins wird dadurch glaubwürdig: ?Hilfe zur Selbsthilfe“.

Hilfe war und ist dringend n?tig: ?23 Jahre Krieg haben dazu geführt, dass eine ganze Generation keine Schule besuchen konnte“, hei?t es auf der Homepage des Vereins. Fünf Millionen Menschen mussten flüchten und konnten erst nach dem Ende der Taliban-Herrschaft in ihre D?rfer zurückkehren. Die Auswirkungen auf das Bildungssystem waren verheerend: Viele Schulen wurden zerst?rt und die Verwaltungen unter Dostum und den Taliban sahen sich nicht in der Lage, die zerst?rte Infrastruktur wieder aufzubauen. Vor dem Krieg herrschten andere Bildungsbedingungen: Noch bis in die 1980er Jahre hinein bestand für M?dchen in den gro?en St?dten Afghanistans wie Kabul, Herat und Mazar-i-Sharif die M?glichkeit, Schulen und Universit?ten zu besuchen. Erst der Krieg gegen die Sowjets, die K?mpfe der Mudjahedin und die darauf folgende Taliban-Herrschaft ver?nderten diese Situation. Heute sind immer noch circa 80 bis 90 Prozent der Frauen in Afghanistan Analphabetinnen.

Politische Situation seit 2002 stark ver?ndert

?Seit 2002 hat sich die politische Lage und damit unsere Arbeit sehr ver?ndert“, resümiert N?lle-Karimi. W?hrend in der Regierungsperiode der Taliban der Schulbetrieb an denen vom Verein gebauten oder subventionierten Schulen noch selbst unterhalten wurde, werden die Lehrergeh?lter jetzt von der Zentralregierung ausgezahlt. Noelle-Karimi beklagt eine Situation, in der Regierungsinstitutionen Personalentscheidungen treffen, die dem schulischen Umfeld entzogen sind: ?Wir haben vielfach mit Korruption zu k?mpfen. ?ber viele Aspekte des Schulwesens haben wir keine Kontrolle mehr, Lehrerposten sind nun einfach zu erkaufen.“

Aber war es vorher unter der Herrschaft der Taliban besser? Noelle-Karimi berichtet über die Zeit vor 2002: ?Nach dem Abzug der sowjetischen Gruppen aus Afghanistan gelang es ?Afghanistan Schulen’, 1994 in der Provinz Faryab ein M?dchengymnasium zu erbauen.“ Mit Erfolg: Mehr als 1200 Kinder fanden hier eine Ausbildungsm?glichkeit. Das Gymnasium galt als das sch?nste Geb?ude Nordafghanistans. ?Mein gr??ter Albtraum bestand damals darin, dass die Taliban kommen und den Schulbau zu ihrem Hauptsitz ernennen k?nnten“, erz?hlt N?lle-Karimi.

Was jedoch kam, war die Schlie?ung der Schule. Der Schulbetrieb wurde auf so genannte ?Homeschools“ verlegt. Die Schülerinnen mussten zum Unterricht zu ihren Lehrerinnen nach Hause gehen. ?Unter den Taliban war es sehr schwer, neue Schulen aufzubauen“, erz?hlt die Wissenschaftlerin. Das Hauptziel des Vereins habe zun?chst schlicht darin bestanden, Schulen, zu erhalten. Die fast gleichzeitige Neugründung zweier M?dchenschulen in Ost-Afghanistan, 2000 in Asadabad und 2001 in Watapur, lassen sich daher also als gro?er Erfolg verbuchen.

Vorteile für die Vereinsarbeit in der Zeit nach der Taliban-Herrschaft sieht die Wissenschaftlerin in der h?heren Aufmerksamkeit und der Spendenbereitschaft für afghanische Projekte. Auch gebe es nun klare Regierungskompetenzen. ?Die jetzige Regierung übernimmt Aufgaben, die vorher von Hilfsorganisationen verantwortet wurden“, so Noelle-Karimi. Dieser Wandel br?chte den Nachteil, dass eine starke Bürokratisierung Einzug gehalten h?tte.

?Ich m?chte die Regierungszeit der Taliban auf keinen Fall romantisieren“, sagt sie, ?aber es gab auch Dinge, die die Organisation unsere Arbeit damals leichter machten.“ Freiere Aktionsfelder, vor allem für Initiativen von au?en, werden von ihr genannt, und die Berechenbarkeit der damaligen Taliban-Regierung.
?Natürlich waren die Taliban ein unterdrückerisches und extremistisches Regime“, so N?lle-Karimi. Zivile Aufgaben wie zum Beispiel der Bau von Krankenh?usern und Schulen wurden jedoch weitgehend den Nichtregierungsorganisationen überlassen. N?lle-Karimi l?chelt bei der Erinnerung an einen Kommandanten des Taliban-Regimes, der es vorzog, bei einem Schulbau in Ost-Afghanistan nicht um Erlaubnis gefragt zu werden, um nichts verbieten zu müssen. Trotzdem, so die Bamberger Afghanistanexpertin kritisch, sei die Zeit der Taliban-Herrschaft die politisch schwierigste Zeit gewesen.

Auftragsmord an einem Mitarbeiter

Probleme, mit denen der Verein heute zu k?mpfen hat, dokumentieren die jüngsten Entwicklungen: Ein langj?hriger Mitarbeiter des Vereins,  Rahmanqul, wurde in Andkhoi, am 17. Februar dieses Jahres am Tor seines Hauses erschossen. Der Afghane hinterl?sst eine Frau und sechs Kinder. Die Ermittlungen gehen von einem Auftragsmord aus. Noch steht jedoch nicht fest, wer den Mord verübte. Die Ermittlungen laufen noch. ?Es ist für uns nur schwer zu ertragen, dass einer unserer Mitarbeiter in Erfüllung seiner Arbeit und seines Lebensziels, den Kindern eine Schulbildung zu erm?glichen, sein Leben lassen musste“, hei?t in der Erkl?rung von Marga Flader, der Vorsitzenden von ?Afghanistan-Schulen“. Der Schock bei den Mitarbeitern sitzt tief. ?Ich befürchte“, so Noelle-Karimi, ?dass sich eine neue Talibangeneration formiert, die versucht, über Terrorakte die Bev?lkerung zu spalten und zu polarisieren.“ Ein Ziel scheint dabei zu sein, Menschen in ?ffentlichen Positionen auszuschalten, die mit der Regierung kooperieren. Als Beispiel nennt sie regierungsfreundliche Geistliche oder Vertreter des Bildungswesens. Dass sie mit dieser Meinung nicht allein ist, beweist die Erfahrung anderer Hilfsorganisationen. Die mangelnde Sicherheit und die Unberechenbarkeit der jetzigen Regierung in Afghanistan werden auch von diesen immer h?ufiger als Problem erkannt. Der Grund: Die Regierung hat in den Augen der Bev?lkerung keine Integrit?t. Die Heterogenit?t der machthabenden Kr?fte macht die Arbeit für Helfer schwer. ?Das Sicherheitsproblem in Afghanistan ist milit?risch nicht l?sbar“, so N?lle-Karimi. Was die Menschen dort br?uchten ist Verl?sslichkeit. ?Ein wichtiger Faktor in unserer Arbeit war immer Kontinuit?t“, sagt sie. Nur so k?nne ein Vertrauensverh?ltnis entstehen – ein Vorteil zum Beispiel gegenüber gro?en internationalen Hilfsorganisationen, deren Projekte meist nur auf wenige Jahre angelegt sind.

Die Stimme betroffener afghanischer Eltern macht deutlich, wie wichtig die Arbeit von ?Afghanistan Schulen“ für die Bev?lkerung ist: ?Mein Leben ist vorbei“, habe eine afghanische Mutter einst zu ihr gesagt, ?meine Tochter wird jedoch ein besseres Leben haben.“ Dank des Vereins k?nne sie in Nasirbagh eine Schule besuchen.
Bildung trotz politischer Instabilit?t: In der Zentrale in Kabul geht die Vereinsarbeit nach dem Tod von Mitarbeiter Rahmanqul weiter. ?Wir dürfen uns von den Taliban nicht einschüchtern lassen“, ist N?lle-Karimi überzeugt. Auch in den Schulen in Andkhoi hat der Unterricht nach drei Tagen Ruhezeit wieder begonnen.

Weitere Information über die Arbeit des Vereins finden Sie [hier...]