Traum oder Traumata? Vierzig Studierende aus Bamberg eroberten das Terrain der Juroren des Bachmannpreises (Bilder: Anne Guhlich)

- Anne Guhlich

?Die Kritik geht oft am Text vorbei“

Studierende der Germanistik besuchten Tage der deutschsprachigen Literatur

Klassenfahrt nach Klagenfurt: Bamberger Studierende beobachteten den Literaturwettbewerb in Klagenfurt aus n?chster N?he und entwickeln sich zu einer eigenen Jury. Der Bachmannpreis z?hlt zu den renommiertesten deutschsprachigen Literaturpreisen.

Einige der Bamberger Studierenden scheinen etwas nerv?s zu sein, als es kurz vor Aufzeichnungsbeginn der ersten Lesung für den Bachmannpreis auf einmal ganz leise wird im ORF-Theater. Sie rutschen im Scheinwerferlicht unruhig auf ihren Stühlen herum, w?hrend die Kameram?nner beh?big ihre Wagen in Position bringen und die roten Ziffern einer Uhr die Sekunden bis zum Beginn der Sendung z?hlen.

Eigentlich haben die Studierenden keinen Grund zur Aufregung. Die gut 40 angehenden Literaturwissenschaftler sind auf Exkursion in Klagenfurt, und was hier von ihnen verlangt wird, ist eine ihrer Spezialdisziplinen: Das Publikum müsse bei der Liveübertragung einzig und allein m?glichst interessiert schauen, sagt der Moderator Dieter Moor. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Jahren sind die 32. Tage der deutschsprachigen Literatur auf zwei anstelle von drei Lesungstagen komprimiert.

Statt 18 lesen dieses Jahr 14 Autoren. Und auch die Jury ist kleiner geworden. Insgesamt sieben Literaturwissenschaftler, Kritiker und Autoren besetzen die wei?en Stühle auf der Bühne. Ihr Urteil ist gefürchtet. Eine Autorin sei letztes Jahr so heftig kritisiert worden, dass sie bis heute Schreibprobleme habe, munkelt man in Schriftstellerkreisen.

Verliebt in den Text

Doch dieses Jahr scheinen derartige Traumata auszubleiben. Im Gegenteil: Die Juroren diskutieren vorzugsweise, wer warum in welchen Text verliebt sei. Und sie garnieren ihre Kritik mit Geschichten aus ihrer eigenen Vergangenheit. Wie die Protagonistin aus Markus Orths’ Geschichte, sei auch Jurorin Ursula M?rz einmal Zimmerm?dchen gewesen, und Alain Claude Sulzer meint, seine eigenen Erfahrungen mit Brandkatastrophen im Text von Sudabeh Mohafez wieder zu finden. ?Die Kritik geht oft am Text vorbei“, sagt die Studentin Maria Weise. Und auch Stefan Rehm findet die Urteile ?eher befremdlich“. So kommt es, dass sich die Exkursionsteilnehmer im Laufe der Lesungen zu einer eigenen Jury entwickeln. Ob im Bus, w?hrend des Essens oder beim Schwimmen im W?rthersee – überall sind die Worte ?Text“ und ?Literatur“ zu h?ren.

Zu besprechen gibt es vieles: Ist Clemens J. Setz’ skurrile Geschichte ?Die Waage“ besser, oder ?Kein sch?ner Land“ von Patrick Findeis? Heike Gei?ler findet bei den weiblichen Teilnehmerinnen mit ihrer Engelsgeschichte Anklang, bei den m?nnlichen Studenten mit ihrer sü?en Nase. Diskussionsbedarf gibt es auch bei Pedro Lenz, dessen Geschichte ?Inland“ bei der Jury nicht so gut ankommt wie bei den Studierenden. Bei Thorsten Palzhoff k?nnen sich die Germanisten bei einem Mittagessen pers?nlich erkundigen, wie er das Lesen und die Kritik seiner Version einer Wendegeschichte ?Livia“ empfunden habe. Als ein ?Betriebsausflug der Literaturszene“ bezeichnet der Initiator der Exkursion, Prof. Dr. Friedhelm Marx, die Fahrt nach Klagenfurt. Die Studierenden h?tten dabei nicht nur die M?glichkeit, 14 Autoren und ihre Texte kennen zu lernen, sondern k?nnten sich zudem in famili?rer Atmosph?re einen Einblick in den Literaturbetrieb verschaffen.

Einblicke in den Literaturbetrieb

Gelegenheit dazu gibt es bei einem Seminar mit der Literaturagentin Karin Graf und beim Empfang des Bürgermeisters von Klagenfurt. Am Ende des Lesemarathons sind die Studierenden zwar müde und ihre Aufnahmenf?higkeit ist ersch?pft, aber anmerken lassen sie es sich nicht – Dieter Moor dürfte also zufrieden sein. Es reicht sogar noch zu einer Abstimmung: W?hrend die Klagenfurter Juroren den Bachmannpreis an Tilman Rammstedt vergeben, der in einer rasanten Pointenjagd ein Enkel-Gro?vater-Verh?ltnis beschreibt, siegt bei der Bamberger Jury Thorsten Palzhoff.

Erstver?ffentlichung im Fr?nkischen Tag