DFG-Projekt: Der Siedlungsbezirk von Cuatrovitas im Aljarafe

Projektdaten

Projekttitel: Der Siedlungsbezirk von Cuatrovitas im Aljarafe (Sevilla, Spanien). Arch?ologische und naturwissenschaftliche Untersuchung einer almohadenzeitlichen Wüstung
Geldgeber: Deutsche Forschungsgemeinschaft, F?rderbereich Fachkollegium 101 Alte Kulturen
F?rderzeitraum: Phase I 10/2013–9/2015; Phase II: 8/2016–7/2018
Antragsteller: Prof. Dr. Lorenz Korn
Projektpartner: Prof. Dr. Magdalena Valor Piechotta, Facultad de Geografía e Historia Historia Medieval y Ciencias y Técnicas Historiográficas, Area de Historia Medieval, Universit?t Sevilla
Projektkoordination: Dr. Anja Heidenreich

Ankündigung der Ver?ffentlichungen

Nach Abschluss unsere Auswertungsphase liegt nun eine monografische Publikation vor, an der zahlreiche Forscher mitgewirkt haben. Die Ver?ffentlichung erfolgte im Sommer 2022 durch den Reichert-Verlag, in der Reihe der Ernst-Herzfeld Gesellschaft SIKA Bd. 4 (Studies in Islamic Art and Archaeology). Die Publikation umfasst ca. 250 Seiten, 300 farbige Textabbildungen und 81 Farbtafeln.

Eine Vorlage der Forschungsergebnisse auf Spanisch ist in einem gro?en Festakt für den 26. Oktober 2022 durch das freundliche Entgegenkommen der Gemeinde Bollullos de la Mitación geplant Die spanische Publikation wird von der Gemeinde finanziert und vertrieben.
Die spanisch sprachige Ausgabe kann über die Autorin bezogen werden.

 

 

 

Das Projekt

Im Rahmen unseres Forschungsvorhabens in der N?he von Sevilla (Spanien) widmten wir uns in zwei Projektphase einem wüst gefallenen Siedlungsplatz, als dessen Zentrum sich die heute als Kirche überformte Hauptmoschee in einem für die Iberische Halbinsel selten komplettem Zustand überliefert hat. Im unmittelbaren Umfeld des Geb?udes schlie?en sich gro?e, heute durch moderne Landwirtschaft genutzte Freifl?chen an, die teilweise noch nach der christlichen Eroberung (um 1248) bis in das Sp?tmittelalter weiter bewohnt waren. Alle Untersuchungen in Cuatrovitas wurden in Partnerschaft mit der Universit?t Sevilla, Dept. Historia Medieval y Ciencias y Técnicas Historiográficas (Prof. Dr. Magdalena Valor Piechotta) unter reger Beteiligung von Studenten beider Universit?ten durchgeführt. Finanziell wurde das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gef?rdert. Die Arbeiten begannen mit einer ersten vierw?chigen Kampagne Ende Oktober 2013 und wurden bis Ende 2018 in einer Verl?ngerung mit einem Schwerpunkt auf naturwissenschaftliche Nachbarwissenschaften und auf eine verst?rkte ?ffentliche Pr?sentation fortgesetzt.

Der Kirchen- bzw. Moscheebau

Aus der Perspektive des Faches Islamische Kunstgeschichte und Arch?ologie haben wir im Projekt zwei grundlegende Ans?tze verfolgt: Ein intensives Studium des Bauwerkes, seiner zugeh?rigen Bestandteile (Minarett, Hof) inklusive fassbarer Bauphasen und ihrer bautechnischen und gestalterischen Besonderheiten. Hierzu z?hlten auch 3-D-Scans des aufgehenden Geb?udes und eine Georadar-Untersuchung der Bodenfl?chen im Innenraum und im ehemaligen Hofbereich. Befundungen im Aufgehenden(675.5 KB) und arch?ologische Sondagen in ausgew?hlten Fundamentbereichen haben die Datenerhebung komplettiert. Mit einer mathematisch-metrologischen Analyse ergaben sich auf dieser Grundlage Informationen zu den in almohadischen Ma?verh?ltnissen(197.8 KB) bewusst gew?hlten Gesamtproportionen des Baues, seiner Planung und seinen Baumaterialien.

Aktuelles Interview zu den Projektergebnissen in der spanischen Tagespresse

Auch wenn unsere Untersuchungen mittlerweile abgeschlossen sind, ist das Interesse vor Ort ungebrochen: Unser Teammitglied Dr. Alejandro Jimenez berichtet.

Die ?Maurenh?hlen“

Wiederholt hat uns die oral history über die Maurenh?hlen in Cuatrovitas, ein angeblich unterirdisch verzweigtes Gangsystem aus islamischer Zeit, informiert. Nachdem bereits gro?e, glockenf?rmige Vorratskeller in der Siedlung vereinzelt dokumentiert werden konnten, gelang im April 2017 tats?chlich die Auffindung eines Gangsystems in unmittelbarer N?he zur Moschee (siehe Video). Im M?rz 2018 konnte dieses mittels technischer Hilfsmittel befahren werden und soll im Herbst mit Hilfe von H?hlenforschern eine genauere Dokumentation erfahren. Im April 2018 fanden auch weitere Georadaruntersuchungen um den Kirchenbau statt, die das Vorhandensein weiterer Gangsysteme belegen.

 

Zwei ehemalige Siedlungen

Fragen nach der Morphologie und kulturgeschichtlichen Bedeutung des Platzes inklusive nach den Gründen seines schrittweisen Niederganges ab der Mitte des 13. Jahrhunderts bilden den zweiten Forschungsschwerpunkt. Für ein Gebiet, das vermutlich auch damals von landwirtschaftlichen Sonderkulturen stark gepr?gt war, lassen sich damit interessante Ans?tze für die Rekonstruktion einer Kulturlandschaft und deren Wandel unter den Bedingungen der christlichen Eroberung gewinnen. Bereits erfolgt ist die gro?fl?chige geophysikalische Prospektion des Umfeldes (Fa. Eastern Atlas), die wir mit einem Survey der obert?tig noch heute sichtbaren Keramikstreuung koppeln konnten. Mittels Prozessierung der Daten in ArcGIS zeigte sich ein schlüssiges Ergebnis zur Ausdehnung und den Kernzonen zweier gro?fl?chiger almohadischer Siedlungen.
Neben der klassischen Befundgrabung in den von 2013–2015 und 2017-2018 insgesamt 28 angelegten und noch weiter fortzuführenden Untersuchungsschnitten wollen wir besonders die naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden exemplarisch zur Anwendung bringen.
Bereits erfolgt sind die anthropologische Auswertung der im Kirchenumfeld aufgefundenen Bestattungen, die pal?ozoologische Analyse von Tierknochen, eine Analyse der Fundkeramik, ausgew?hlte Altersbestimmungen durch C-14-Datierung und eine noch laufende Isotopenbestimmung am Knochenmaterial.
Au?erdem laufen die Auswertungsarbeiten für ein fein aufl?sendes Pollendiagramm und eine geomorphologische Analyse. Eine Rekonstruktion von Vegetations- und Kulturlandschaft, für die es im Aljarafe noch keine Untersuchungen gibt, dürfte damit exemplarisch am Fundort erbracht werden.
Bereits vor Abschluss unseres Projektes sind erste Ergebnisse auf einer dreisprachigen Homepage der ?ffentlichkeit zug?nglich. Diese wurde durch die Gemeinde Bollullos de la Mitación realisiert: www.cuatrovitas.org.
Eine Dauerausstellung im Rathaus, ein kleiner Ausstellungssaal vor Ort und Führungen durch Fachpersonal sollen in Zukunft weitere M?glichkeiten bieten, den von der Bev?lkerung ungebrochen stark frequentierten Ort in seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung zu st?rken und museal aufzuwerten.

Die Bestatteten: Christen oder Mauren?

 

Bei den Ausgrabungen wurden im Umfeld des Betsaales/Eremitenkirche Reste von dreizehn Skeletten erfasst, von denen zw?lf anthropologisch untersucht werden konnten. Nahezu alle geborgenen Reste sind – soweit bestimmbar – Vertreter der der kaukasischen Rasse (europid), mit einer Untervariet?t des grazilen, mediterranen Typs. Lediglich an Skelett 4 lie? sich eine Vermischung mit orientalischen Rassecharakteristiken feststellen. Der vor der christlichen Eroberung ans?ssige andalusische Bev?lkerungsteil l?sst sich nach antropologischen Gesichtspunkten nicht von einem andalusischen Substrat, einer Mischbev?lkerung oder der neu aus den n?rdlichen Landesteilen hinzugezogenen christlichen Bev?lkerung unterscheiden! Die Arch?ologie zeigte allerdings, dass ein Gro?teil der Gr?ber sp?tmittelalterlichen Datums war und erst erst nach der Umwidmung des Areals zur Kirche erfolgt ist. Doch schon vor dem Bau der Moschee scheinen auch die Muslime dieses Areal für die Anlage ihres Friedhofes gew?hlt zu haben, damals noch au?erhalb der Siedlung. Die 14-C-Bestimmung am Knochenmaterial von Grab 2 wies, wie auch der typisch islamische Grabritus, deutlich in vor-christliche Zeit, n?mlich in das 10. Jh.

Die ausführliche anthropologische Analyse ist hier nachzulesen(6.5 MB) (auf Spanisch/Deutsch).

Literatur:

Anja Heidenreich - Magdalena Valor Piechotta - Alejandro Jiménez - Lorenz Korn, Cuatrovitas (Bollullos de la Mitación, Sevilla, Spanien). Neue Untersuchungen zur almohadenzeitlichen Moschee und Wüstung - Ein Beitrag zur Geschichte der Siedlungskammer Aljarafe in islamischer Zeit, Madrider Mitteilungen 56, 2016, 410-505.

Anja Heidenreich, Cuatrovitas - Eine hochmittelalterliche Landmoschee mit Dorfwüstung westlich von Sevilla (Spanien), in: Patrick Cassitti (Hrsg.) Festschrift für Prof. Ingolf Ericsson zum 60. Geburtstag (Bonn 2017) 125-154.