Exkursion nach Nürnberg am 21. Mai 2019

Im Rahmen der Vorlesung ?Lebenskunst – Das Leben k?nnen? besuchten am 21. Mai 2019 ca. 20 Studierende unter der Leitung von Prof. Dr. Wei?er (Laubach) die Sonderausstellung Helden-M?rtyrer-Heilige – Wege ins Paradies des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg.

Zu Beginn der etwa anderthalbstündigen Führung erl?uterte der Kurator der Ausstellung, Markus Prummer, das Konzept der Heldenreise, das seit den 50er Jahren als Grundmuster von Mythologien und Erz?hlungen entdeckt wurde. Unabh?ngig vom konkreten Inhalt dieser Geschichten gleicht der Protagonist solcher Geschichten prinzipiell immer einem Archetyp, der stets demselben Muster folgt. Der Held oder die Heldin haben die Aufgabe, ein schwerwiegendes ?bel zu beheben, um ein Gleichgewicht im Kontext wiederherzustellen. Ebendieses ?bel stellt folglich die Legitimation der eigentlichen Geschichte dar, denn ohne dieses ?bel w?ren die Taten des Protagonisten bedeutungslos. Der Held oder die Heldin treffen auf Verbündete oder Feinde, auf Bew?hrungsproben und der Spannungsverlauf richtet sich auf eine finale und endgültige Prüfung hin. Nach dieser letzten Prüfung kehrt die Geschichte zum Alltag zurück und zumeist endet sie an dieser Stelle. Die eigentliche Legitimation der Geschichte und der Reise – das ?bel, das behoben werden musste – ist aus der Welt geschafft.

Die Sonderausstellung Helden-M?rtyrer-Heilige – Wege ins Paradies stellt christliche Kunst im Sinne dieser Heldenreisen vor. Der Clou: Dadurch treten manche altbekannten Aspekte der christlichen Tradierung neu zu Tage. Zu diesem Zweck waren die gezeigten Kunstwerke nach folgendem Schema dreigeteilt: Der erste Teil befasste sich mit der Heldenreise Christi selbst, beim zweiten Teil lag die Darstellung von M?rtyrern im Fokus, und im dritten Teil wurden die Geschichten von christlichen Helden dargestellt.

Bei der Darstellung der Heldenreise Christi wurde zun?chst lediglich die Prophezeiung, bzw. die Ankündigung des Helden – Christus – betrachtet. Je nach Epoche und Intention des Urhebers liegt hierbei der Fokus des Exponats auf der Verkündigung Marias durch einen Engel oder auf anderen darstellbaren Szenen. Die Phase der Anerkennung wird – je nach Künstler – dem exklusiven Wissen der drei heiligen K?nige, die ja auch bereits vor der Geburt Christi von dessen Besonderheit erfahren haben geschuldet. Somit erfolgen die ersten beiden Phasen der Heldenreise noch vor der eigentlichen Aktivit?t des Protagonisten und sind ebenso noch v?llig ohne dessen Aussergew?hnlichkeit plausibel. Anschlie?end folgt die Phase der Berufung, in der der Held selbst seine Bestimmung in Erfahrung bringt, sowie die der Bew?hrung, in der er sich auf die finale und endgültige Prüfung vorbereitet. Ebendiese Phase der Bew?hrung kann – je nach Erz?hler oder Urheber – einen Hauptteil der eigentlichen Erz?hlung ausmachen. Es folgen die Phasen der Gef?hrdung, Entscheidung, Aufopferung und – im konkreten Fall Christi durch das Christusereignis vor aller Augen – die Niederlage mit anschlie?endem unm?glich wirkendem Triumph. Nachdem diese Geschichte im Triumph ihren eigentlichen Endpunkt findet, folgt zuletzt der Moment der Unsterblichkeit, in welchem der Protagonist seinen weltlichen Kontext hinter sich l?sst, um unsterblich zu werden. Am Beispiel Christi besteht diese Unsterblichkeit in der Nachfolge, zu der die christliche Religion regelm??ig aufruft.

Die Darstellung der M?rtyrergeschichten beschr?nkt sich zumeist auf den konkreten Moment des Martyriums: In ihrer Darstellung stehen die Kunstwerke den heutigen Gewaltdarstellungen in nichts nach und setzen zuweilen Gewalt, Brutalit?t und Abscheuliches als Stilmittel ein, um das Umfeld vom Protagonisten zu distanzieren. Je nach Art der Ausgestaltung ist zwar stets auf den ersten Blick erkennbar, dass der M?rtyrer seinen Peinigern ausgeliefert ist, er jedoch aufgrund seiner Darstellung entfremdet und vergeistigt wirkt. Diese Art der Darstellung versucht eine Art der Jenseitsfixierung bildlich darzustellen.

Die christlichen Heiligenerz?hlungen folgen meist einem Zweck der Verehrung sowie des Vor-Augen-Haltens zum Anbeten oder um Bitten an die Heiligen richten zu k?nnen. Der Heilige wird demnach in seiner herausragenden Stellung – sodass auf alle F?lle ersichtlich werden kann, warum derjenige ein Heiliger ist – dargestellt. Inhaltlich begründet sich die Menge der Heiligen auf Schutzengel, Nothelfer und Retter, Ritterheilige und besonders Barmherzige oder Personen, denen gr??te N?chstenliebe nachgesagt wurde. Neben der eigentlichen Abbildung hat sich auf diese Weise die Reliquienverehrung als weitere Art der Darstellung manifestiert: Ein Exponat bildet nicht nur denjenigen Heiligen ab, nein: Es vereint in sich das künstlerisch bearbeitete Material mit einem echten Anteil desjenigen Menschen. Auf die Entwicklung der Reliquien folgten Entstehungen von Prim?r- und Sekund?rreliquien, deren Distanz zum Heiligen – je nach Abstufung – immer weiter zunehmen soll.

Christus, M?rtyrer und Heilige werden in den Darstellungen einerseits als ?Helden,‘, als ?Spitzenathleten ‘ des Glaubens gezeigt. Sie sind Glaubenszeugen und Glaubensvorbilder. Sie k?nnen Lebensorientierung bieten und zeigen, wie christliches Leben gelingen kann. Andererseits zeigt das Grundmuster der Heldenreise auch, dass Widerst?nde, Fragen, Lebensumwege und Scheitern auch zu diesen Heldinnen und Helden des Glaubens geh?ren. Die Ausstellung verdeutlicht so: Eine christliche Lebenskunst – wie sie sich in den Heiligen etwa zeigen k?nnte – kennt mehr als nur eine bedingungslose Fr?mmigkeit oder Hingabe. Sie ist oftmals schwer erk?mpft.

Simon Scheller