Ein Meister der Soziologie
?Forschung ist mein Leben.“ Mit vier Worten beschreibt sich Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Peter Blossfeld selbst am treffendsten. Der Satz erkl?rt, warum der Soziologe 35 Bücher und über 240 Aufs?tze ver?ffentlicht hat. Seine Arbeiten wurden mehr als 31.200 Mal zitiert. Er erhielt Ehrungen wie den Descartes Prize for Excellence in Scientific Research von der Europ?ischen Kommission. Oder auch den ERC Advanced Grant, den h?chsten Wissenschaftspreis der Europ?ischen Union. Am 1. April 2020 ist der Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie 1 in den Ruhestand gegangen. ?Hans-Peter Blossfeld kann auf ein ganz herausragendes wissenschaftliches Lebenswerk zurückblicken“, lobt ihn Soziologe Prof. Dr. Karl Ulrich Mayer: ?Er ist der weltweit am drittmeisten zitierte deutsche Soziologe.“
Institut mit rund 190 Mitarbeitenden gegründet und geleitet
Mayer war Pr?sident der Leibniz-Gemeinschaft, als Blossfeld 2008 einen Leuchtturm in Bamberg schuf: das Nationale Bildungspanel (NEPS), welches 2012 zum Herzstück des neu gegründeten Leibniz-Instituts für Bildungsverl?ufe (LIfBi) wurde. Bis 2012 leitete Blossfeld rund 190 Mitarbeitende und erhielt ein j?hrliches Budget von etwa 23 Millionen Euro. Das NEPS erhebt j?hrlich L?ngsschnittdaten unter anderem zu Bildungsprozessen über die gesamte Lebensspanne. ?Das bedeutet, dass wir keine Momentaufnahmen machen, sondern gewisserma?en einen Film über die Bildungs- und Kompetenzentwicklung: Wir erforschen, wie sich das Leben im Kontext entwickelt“, erkl?rt Blossfeld. Mit standardisierten Tests und Frageb?gen sammelt das NEPS Daten von S?uglingen über Schulkinder bis hin zu ?lteren Erwachsenen. Die Forschenden untersuchen etwa, ob der Kindergarten soziale Unterschiede ausgleichen kann.
Mayer nennt das NEPS Blossfelds ?mutigstes und folgenreichstes Unterfangen, das er ma?geblich entwickelt und an die Universit?t Bamberg geholt hat.“ Das best?tigt auch Universit?tspr?sident Prof. Dr. Dr. habil. Godehard Ruppert: ?Zur weiteren Profilierung der Bamberger Sozialwissenschaft hat Hans-Peter Blossfeld mit international konkurrenzf?higer Forschung einen entscheidenden Beitrag geleistet. Nicht zuletzt hat er beachtliche Summen an Drittmitteln eingeworben. Als Anerkennung der Leistungen von Hans-Peter Blossfeld hat die Universit?tsleitung beschlossen, ihn zum Emeritus of Excellence zu ernennen.“
?Pionier und einflussreicher Brückenbauer“
Es war nicht das einzige Gro?forschungsvorhaben, das der Wissenschaftler gründete und leitete: ?Hans-Peter Blossfeld hat Ressourcen für mehrere Leuchtturmprojekte akquiriert und diese durchweg mit gro?em Erfolg und Ertrag zu Ende gebracht“, blickt Prof. Dr. Walter Müller zurück, Soziologe und Blossfelds Doktorvater. ?Er ist ein Pionier und einflussreicher Brückenbauer für gro? angelegte internationale Kooperationen in der gesellschaftsvergleichenden Forschung.“ Den Grundstein dafür legte der gebürtige Münchner am European University Institute in Florenz: ?Meine erste Professur hatte ich in Florenz inne“, so Blossfeld. ?Die Zeit dort hat mir sehr geholfen, ein internationales Netzwerk aufzubauen.“
Er war in vielen F?llen Wegbereiter neuer Themen. In der Arbeitsmarktforschung untersuchte er beispielsweise bereits 1997, wie sich die Teilzeitarbeit von Frauen in 13 L?ndern in Europa und den USA entwickelte. Eine Erkenntnis daraus: Die stark angestiegene Erwerbst?tigkeit der Frauen hat in den meisten L?ndern nicht zu einer Gleichstellung von Frauen geführt, weil es sich oft nur um Teilzeitbesch?ftigungen handelte. ?Ich habe alle Forschungsprojekte, an denen ich gearbeitet habe, mit gro?er Freude gemacht“, betont Blossfeld.
Bildungssystem als Heiratsmarkt
Im Bereich Familiensoziologie erforschte Blossfeld 2004 zum Beispiel die Rolle des Bildungssystems als Heiratsmarkt in 13 L?ndern. Er erkannte, dass sich Ausbildungszeiten junger Erwachsener verl?ngerten, der Frauenanteil im Bildungssystem stieg. Die Folge: Immer mehr Personen trafen in der Schule oder an der Universit?t künftige Ehepartner. Das hat die Ungleichheit in der Gesellschaft erh?ht, weil immer mehr Paare im Lebenslauf ihre zun?chst individuellen Bildungsungleichheiten durch die Heirat noch einmal verdoppelt haben (?Gleich und Gleich gesellt sich gern“). Bei der darauffolgenden Studie zur Partnersuche auf Online-Portalen haben sich diese Ergebnisse ebenfalls best?tigt. Dieses Projekt führte Blossfeld an der Universit?t Bamberg durch, an der er seit 2002 gearbeitet hat.
Ein anderes wichtiges international vergleichendes Gro?projekt an der Universit?t Bamberg war das Globalife-Projekt, in dem die Effekte der Globalisierung auf die Lebensverl?ufe in modernen Gesellschaften im Detail untersucht wurden. Das Forschungsteam zeigte beispielsweise, dass sich die berufliche Etablierung im Zuge der Globalisierung durch befristete Besch?ftigungsverh?ltnisse und die damit verbundene Unsicherheit immer weiter hinausz?gert, aber letztendlich doch meist gelingt.
Er bekommt renommierten ERC Advanced Grant
Für sein bildungswissenschaftliches Projekt eduLIFE bekam Blossfeld 2010 den ERC Advanced Grant und 2,5 Millionen Euro. Er lie? sich dafür von 2012 bis 2017 von der Universit?t Bamberg beurlauben um noch einmal als Professor nach Florenz zu gehen. Seine Leitungsfunktionen am LIfBi und am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universit?t Bamberg (ifb) hat er deswegen an Kolleginnen und Kollegen übergeben. Mit einem gr??eren Forschungsteam untersuchte er in Florenz individuelle Bildungsverl?ufe in unterschiedlichen L?ndern. Der Fokus lag auf Kindergarten, Schulsystem, Berufseinstieg, Weiterbildung im Lebenslauf und auf der Rolle von MINT-Berufen. Zu Blossfelds Forschungsgegenst?nden geh?ren auch Lebenslaufforschung, Ungleichheit in der Familie und im Arbeitsmarkt, Globalisierungsforschung und Statistik. ?Ein Forscher mit Leidenschaft bringt den aktuellen Forschungsstand auch gerne Studierenden bei. Es hat mir immer viel Spa? gemacht, mit ihnen kritisch die Forschungsergebnisse zu diskutieren“, so Blossfeld.
Herausgeber, Berater, Gastprofessor
Die Studierenden konnten viel von ihm lernen, denn: ?Hans-Peter Blossfeld z?hlt weltweit zu den Top-Wissenschaftlern und genie?t h?chstes Ansehen“, beschreibt Walter Müller ihn. Und: ?Neben all seinen Forschungst?tigkeiten hat Blossfeld mehr als zwei Jahrzehnte in leitender Verantwortung die führende soziologische Fachzeitschrift Europas, die European Sociological Review, herausgegeben und überaus erfolgreich den wissenschaftlichen Nachwuchs gef?rdert.“ Er hat unter anderem in nationalen und internationalen Beratungsgremien mitgewirkt und weltweit Gastprofessuren an renommierten Universit?ten innegehabt. Au?erdem ist er gew?hltes Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina (seit 2006), der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (seit 2007) und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (seit 2008).
Was k?nnte sich ein Forscher mit diesem Lebenslauf für seinen Ruhestand wünschen? ?Freiheit“, antwortet Blossfeld. ?Ich freue mich auf die Freiheit, das zu tun, was mir Spa? macht.“ Das k?nnen wissenschaftliche Aufs?tze und Konferenzen sein – oder auch Gartenarbeit bei sch?nem Wetter. Aber so ganz verabschiedet sich Blossfeld ohnehin nicht in den Ruhestand. Erst im M?rz hat die EU sein neues internationales Projekt zum ?bergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen in modernen Gesellschaften im Rahmen von Horizon 2020 bewilligt.