DFG Projekt M?rkte – Netzwerke – R?ume. Wirtschaftsbeziehungen und Migrationsprozesse in der Frühen Neuzeit (1500–1800)

Teilprojekt: Neue M?rkte? Wirtschaftliche Beziehungen zwischen Italien und Oberdeutschland im 17. Jahrhundert (1630–1700).

 Bearbeiter: Christof Jeggle


Die transalpinen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Oberdeutschland und Italien geh?rten seit dem Mittelalter zu den grundlegenden Verbindungen des europ?ischen Fernhandels. Daher sind diese Beziehungen auch zentraler Gegenstand wirtschaftshistorischer Forschungen. Durch das Aufkommen des atlantischen ?berseehandels ver?nderten sich die Netzwerke des europ?ischen Handels im 16. Jahrhundert. Auf den Verlust des Einfuhrmonopols Venedigs im Seehandel für Orientwaren reagierte die venezianische Elite, indem sie ihre wirtschaftlichen Aktivit?ten zunehmend auf die Produktion von exportf?higen Gütern im Veneto ausrichtete. Auch in der Toskana war die Seidenproduktion auf den Export in den Norden ausgerichtet. ?ber die bisherigen Zielm?rkte in Mittel- und Westeuropa hinaus wurden neue Absatzm?rkte in Polen erschlossen. Vom letzten Drittel des 16. Jahrhunderts bis in die 1620er Jahre hatte das Engagement italienischer Kaufleute n?rdlich der Alpen stark zugenommen. Die Pestwelle von 1628/30 und milit?rische Konflikte, in Oberdeutschland der Drei?igj?hrige Krieg, führten auf beiden Seiten der Alpen zu erheblichen Bev?lkerungsverlusten und zu einem Einbruch der bis dahin etablierten Handelsbeziehungen.

Die bisherige Forschung konzentriert sich dementsprechend auf die Zeit bis 1630. Für die anschlie?enden Jahre liegen kaum Studien vor, und die ?ltere Forschung ging von einem Niedergang der Handelsbeziehungen nach 1630 aus. Die Vorstellung eines krisenbedingten Niedergangs wird inzwischen von der Perspektive eines vielschichtigen Strukturwandels abgel?st. Ein wesentliches Indiz für die anhaltende Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den L?ndern n?rdlich der Alpen und Italien wie für den Strukturwandel ist das Dr?ngen italienischer Kaufleute auf eine Reform der Bozner Messen seit 1609 und die Einrichtung eines Handelsgerichts. Trotz der sich ver?ndernden Handelsbeziehungen wurde 1635 ein Merkantilmagistrat für die Bozner Messen durch Erzherzogin Claudia de’ Medici privilegiert, in dessen Akten sich zahlreiche oberdeutsche Kaufleute nachweisen lassen. Insbesondere nach dem Ende des Drei?igj?hrigen Kriegs waren oberdeutsche Kaufleute wieder auf den Bozner Messen vertreten. Allerdings wurden die bis in die 1620er Jahre entwickelten Gesch?ftsbeziehungen nicht, auch nicht auf reduziertem Niveau, einfach fortgesetzt, sondern die Wirtschaftsbeziehungen durchliefen einen tiefgehenden Wandel, bei dem sich etablierte Akteure zurückzogen oder gesch?ftlich neu ausrichteten. Jedoch stiegen auch neue Akteure mit neuen Gesch?ftsformen in die transalpinen Gesch?ftsbeziehungen ein und gestalteten die M?rkte in neuer Form. Diese Neuausrichtung der M?rkte steht im Mittelpunkt des Teilprojekts.

Dabei wird das zentrale Anliegen verfolgt, auf Grundlage des Forschungsprogramms des Gesamtprojekts zu untersuchen, wie M?rkte im Bereich der transalpinen Handelsbeziehungen zwischen Oberdeutschland und Norditalien durch soziale Interaktionen der beteiligten Akteure konstituiert wurden. Die überlieferten Materialien erm?glichen die Analyse von exemplarischen Ausschnitten aus diesen kommerziellen Beziehungsgeflechten. Konzeptionelle Grundlage der Untersuchungen zur Konstitution von M?rkten durch Netzwerke der beteiligten Akteure sind Ans?tze der Wirtschaftssoziologie, insbesondere von Harrison C. White, und der "?conomie des conventions", die sich gegenseitig erg?nzen. Darüber hinaus werden die ?berlegungen zur "Economy of Qualities" einbezogen. Diese Forschungsans?tze gehen davon aus, dass das Agieren der Marktteilnehmer durch die spezifischen Eigenschaften der Akteure und die Qualit?ten der Produkte gepr?gt wird. Die genannten Forschungsans?tze gehen von Produktionsm?rkten aus, daher sind systematische und konzeptionelle Weiterentwicklungen zur Analyse von M?rkten des Warenhandels und des Zahlungsverkehrs notwendig. Zwischen den einzelnen Archivbest?nden lassen sich Verbindungen anhand von Personen herstellen, die dort jeweils parallel dokumentiert sind. Damit lassen sich Netzwerke der an den M?rkten beteiligten Akteure rekonstruieren. Als Materialgrundlage dienen Briefe, Rechnungsbücher, insbesondere der Handelsgesellschaften der Saminiati in Italien, und Gerichtsakten des Merkantilmagistrats in Bozen sowie erg?nzende ?berlieferungen aus Augsburg und weiteren Marktorten, um die Gesch?ftspraktiken der Kaufleute auf den M?rkten in exemplarischen mikrohistorischen Studien zu untersuchen.

In diesem Rahmen wird eine Reihe von Fragestellungen verfolgt: An welchen M?rkten beteiligten sich die Kaufleute für welche Gesch?fte? Welche Produkte wurden gehandelt? Welche Vorstellungen hatten die Kaufleute von M?rkten? Welche Formen der Konkurrenz und der Kooperation lassen sich feststellen? Wie sahen die Gesch?ftsstrategien aus? Welche Formen der Preisbildung lassen sich beobachten? Weitere Ansatzpunkte einer strukturellen Netzwerkanalyse sind die Verbindungen innerhalb des Zahlungs- und des Warenverkehrs. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Oberdeutschland und Italien liefen nicht allein über den Brenner, sondern über ein Netzwerk von M?rkten, das sich vom süddeutschen Raum über die Zentral- und Ostalpen bis Wien und das n?rdliche Italien erstreckte. Dabei muss von r?umlichen Bezügen ausgegangen werden, die komplexer waren als einfache, lineare Handelsverbindungen. Die Untersuchung der transalpinen Wirtschaftsbeziehungen schlie?t auch die Frage ein, wie sich die Unterscheidung zwischen dem deutschen und dem italienischen Wirtschaftsraum auf die Gesch?ftspraktiken auswirkte. Welche Vorstellungen von Differenz lassen sich feststellen und durch welche Zuschreibungen wurden auf den M?rkten Unterschiede manifestiert? Waren neben den Kategorien 'Deutsch' und 'Italienisch' weitere Differenzierungen aufgrund der Herkunft entscheidend? Wie sah das Verh?ltnis zwischen deutschen und italienischen Kaufleuten auf den M?rkten aus? Lassen sich unterschiedliche Gesch?ftspraktiken oder Konflikte um Gesch?ftspraktiken feststellen und finden sich Formen der Kooperation zwischen Kaufleuten beider Seiten?