BKM-Projekt: Handel und Konsum der Deutschbalten im Spiegel eines kurl?ndischen Gesch?ftsbuchs des sp?ten 18. Jahrhunderts

Projektleitung

Prof. Dr. Mark H?berlein
Prof. Dr. Markus A. Denzel (Leipzig)

Bearbeiter: Dr. Matthias Baumgartl
Laufzeit: 2021–2022
Finanzierung: Bundesbeauftrage für Kultur und Medien (BKM) / Programm ?Wirtschaftsgeschichte transnational: Die Deutschen im ?stlichen Europa und ihre ?konomischen Netzwerke“
 

Im Rahmen des Projekts wurde ein in Privatbesitz befindliches Gesch?ftsbuch des 18. Jahrhunderts aus dem Baltikum im Hinblick auf handels- und konsumgeschichtliche Fragen ediert und ausgewertet. Breit rezipierte konsumgeschichtliche Narrative wie jene der consumer revolution oder der industrious revolution fu?en empirisch zumeist auf Fallstudien aus West- und Mitteleuropa. Das kurl?ndische Gesch?ftsbuch bietet hingegen die M?glichkeit, eine bislang wenig erforschte Region des Baltikums zu untersuchen. Dazu wurde die Quelle vollst?ndig transkribiert und im Hinblick auf Aspekte wie Preisentwicklung, Saisonalit?t des Handels und Konsumpraktiken statistisch ausgewertet.

Die Erfassung s?mtlicher Konten des Gesch?ftsbuchs zeigte zun?chst, dass es sich überwiegend um Debit-Konten handelte. Demnach waren die Gesch?ftspartner haupts?chlich Abnehmer der gehandelten Waren. Die wenigen Akteure, die auch Credit-Konten aufwiesen, lie?en sich beinahe alle als Kaufleute identifizieren. Im Zuge der Recherchen konnten neun der zehn Zulieferer dem Standort Mitau (heute: Jelgava in Lettland) zugeordnet werden. Dies legte nahe, dass das Gesch?ftsbuch ebenfalls in der damaligen Residenz- und Hauptstadt des Herzogtums Kurland und Semgallen zu verorten ist. Bekr?ftigt wird diese Annahme dadurch, dass Mitau selbst nie als Ortsangabe auftaucht, wohl aber zahlreiche andere kurl?ndische St?dte. Aus konsumgeschichtlicher Perspektive ergab sich daraus die Frage, inwiefern die Rolle Mitaus als Residenzstadt mit einer ausgepr?gten Oberschicht die Konsumpraktiken der Einwohner beeinflusste. Zeitgen?ssische Reiseberichte betonen den ?Luxus‘ der Mitauer Bev?lkerung und machen diesen auch an deren Konsumverhalten fest.

Für detaillierte handels- und konsumgeschichtliche Auswertungen wurde ein Warenglossar angelegt, das s?mtliche gehandelten Güter alphabetisch verzeichnet. Neben Textilien und textilen Accessoires wie B?ndern, Spitzen oder Tüchern zeichnete sich das Angebot des Mitauer Kaufmanns durch eine breite Palette an Metallwaren aus. Vor allem auf den Vertrieb von N?geln scheint dieser spezialisiert gewesen zu sein. Die Sortenbezeichnungen der Textilien legen nahe, dass es sich dabei vorwiegend um Importe aus proto- und frühindustriellen Produktionszentren Westeuropas handelte.

Der Mitauer Kaufmann bezog seine Waren vor allem aus Libau (heute Liepāja), von wo ihn der Kaufmann Johann Heinrich Hemsing auf Kommissionsbasis belieferte. Ein Vergleich mit den Sound Toll Registers Online zeigte, dass Libau damals ein wichtiger Hafen des Herzogtums Kurland und Semgallen war und vor allem von Schiffen aus Bremen, Rotterdam und Amsterdam angefahren wurde. Diese Beobachtungen erm?glichen neue Erkenntnisse im Hinblick auf die Distributionsnetzwerke der deutsch-baltischen Kaufmannschaft des sp?ten 18. Jahrhunderts. Daneben basierte das Warensortiment des Mitauer Kaufmanns vor allem auf dem reziproken Austausch mit anderen lokalen H?ndlern.

Für einzelne Konteninhaber und -inhaberinnen wurden ferner Konsum- bzw. Einkaufsprofile angelegt. Hierfür wurden aus deren Konten Daten zu Waren, Farben, Mengen und Preisen erhoben und in relationalen Datenbanken erfasst. Dies best?tigte die Annahme, dass vor allem modische Stoffe und (textile) Accessoires stark gehandelt wurden Insbesondere B?nder, Spitzen und Kn?pfe z?hlten zu den meistverkauften Produkten. Wie die parallele Auswertung der Rigischen Anzeigen für den ?berlieferungszeitraum ergab, war in der Residenzstadt des Herzogtums Kurland und Semgallen eine ?hnliche Vielfalt an Konsumgütern verfügbar wie in der baltischen Handelsmetropole Riga.
 

Publikation

Matthias Baumgartl / Oliver Kruk: The Commerce of Comfort. Exploring Retail Trade and Consumer Patterns in Late 18th-Century Courland (Aufsatz zur Begutachtung bei einer Zeitschrift eingereicht).