?Im Abgrund der Geschichte ist für alle Platz“ – Sprechen über Abgründe

Zeitraum

23. bis 25. November 2023

Ort

Freies Deutsches Hochstift, Gartensaal
60311 Frankfurt am Main

Organisation

Christina K?nig (Frankfurt a. M.)
Jonas Schmitt (Tübingen)
Magdalena Sperber (Bamberg)
Jonathan Vogt (Frankfurt a. M.)

Die Tagung wird gef?rdert von der Vereinigung von Freunden und F?rderern der Goethe-Universit?t e.V., der Hans-B?ckler-Stiftung, dem GRADE Center Social Sciences und dem Freien deutschen Hochstift.

Call for Papers

Interdisziplin?re Konferenz: ?Im Abgrund der Geschichte ist für alle Platz“[1] – Sprechen über Abgründe

?Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu […]“[2], warnt Au?enministerin Annalena Baerbock auf der UN-Klimakonferenz 2022, um die Dramatik des Klimawandels mit drastischer Rhetorik zu unterstreichen und bedient sich dabei einer h?ufig gebrauchten Metapher.

Der Begriff Abgrund erscheint facettenreich in den unterschiedlichsten Diskursen: Definiert wird er zum Beispiel als ?unermessliche, gef?hrliche Tiefe“, ?Verderben“, ?unüberbrückbarer Gegensatz“ oder ?h?chstes Ausma?“[3]. In einer langen Tradition dient er sp?testens seit dem Psalm 130 als literarische Metapher, in der Philosophie steht der Begriff für das Numinose aber auch für einen allgemeinen Sinnverlust. So vielf?ltig die Kontexte sind, für die die Metapher herangezogen wird, so inflation?r wird sie für ?das Schlechte‘ verwendet. ?Am Abgrund zu sein‘ kann individuellen Stillstand bedeuten. Der Abgrund als alles verschlingende Drohkulisse kann aber auch apokalyptische Vorstellungen transportieren. ?Menschliche Abgründe‘ verweisen auf unergründbare oder unfassbare Wesenszüge in uns. In einem gesellschaftlichen Kontext scheint der Begriff zudem dafür geeignet zu sein, um erstickende und ohnm?chtig machende gesellschaftliche Abgründe auszudrücken. Losgel?st vom bildlichen Abgrund suggerieren diese ?gesellschaftlichen Abgründe‘ bereits die Gesellschaft im Abgrund. Oder aber ?nur‘ am Abgrund?

Hierbei dr?ngt sich die Frage auf, ob durch die vielf?ltige und ambivalente Verwendung in verschiedenen Kontexten eine Relativierung stattfindet und der Begriff damit instrumentalisiert wird, beziehungsweise eine gef?hrliche Verharmlosung damit einhergeht. Wird die Metapher zum Beispiel im Zusammenhang der Shoah verwendet, um das unsagbare Grauen auszudrücken, scheint es unangemessen, den Begriff gleichzeitig auch als Redewendung: ?Da tun sich Abgründe auf!“ – in einem ?nur‘ ablehnenden Sinne oder für grunds?tzliches Unverst?ndnis zu verwenden. In Caspar David Friedrichs Bild Der Wanderer über dem Nebelmeer bietet der Blick in den vernebelten Abgrund hingegen eine romantische Kulisse, die den ?sthetischen Gehalt dieser Metapher sogar in ihr Gegenteil umschlagen l?sst: Statt eines düsteren Nichts verhei?en die Nebelschwaden und die zarten Sonnenstrahlen einen neuen Morgen.

Das Sprechen vom Abgrund ist, ob philosophisch, literarisch oder geologisch, ein Sprechen vom ?u?ersten. Es gibt nichts tieferes als den Abgrund, kein Komparativ kann ihn überbieten. Dabei stimmen Metapher und Realit?t überein: bis heute bleiben den Menschen der Erdkern und die Meerestiefen verschlossen – reale und metaphorische Abgründe enthalten gleicherma?en Unsichtbares und Unerreichbares. Auf der interdisziplin?ren Konferenz sollen Wissenschaftsbereiche in einen Dialog treten über diese besondere Konstellation von Sprache und Wissen, die das Wort Abgrund bereith?lt.

Wissenschaftler*innen unterschiedlichster Disziplinen sind dazu eingeladen, auf der Tagung das Verh?ltnis ihres Faches zur Metapher ?Abgrund‘ zu reflektieren, um darüber ins Gespr?ch zu kommen, ob im ?Abgrund der Geschichte“ tats?chlich ?für alle Platz“ ist.

M?gliche Themen über die sich ein Nachdenken lohnen würde, die aber noch erg?nzt werden k?nnen:

  • Das Anthropoz?n-Konzept
  • Abgründe in der bildenden Kunst
  • Abgründe als theologische Metapher
  • Abgründe als Bild des Unbewussten oder Romantischen
  • Ph?nomene sozialer Ungleichheit
  • Gesellschaftliche Abspaltungsprozesse und Menschenfeindlichkeit
  • Nihilismus und Sinnverlust
  • Gewalt und Psyche
  • Institutionalisierte Gewalt und die Fetischisierung bürokratischer Prozesse
  • Grenzen der erforschbaren Welt
  • (NS-)Psychiatrie-Verbrechen

Bei Interesse senden Sie uns gerne einen Abstract von maximal einer Seite für einen ca. 20-minütigen Vortrag und eine kurze biobibliographische Angabe bis zum 31.03.2023 an tagungabgruende@gmail.com. Wir werden für die Tagung eine F?rderung beantragen, mit der wir Reise- und Unterkunftskosten sowie Verpflegung finanzieren wollen. Auch über Bewerbungen von Autor*innen und bildenden Künstler*innen freuen wir uns. Wir werden uns bemühen Honorare für diese Beitr?ge einzuwerben.

 


[1]  Rezitiert auf Deutsch nach Paul Valérys ?Et nous voyons maintenant que l?ab?me de l?histoire est assez grand pour tout le monde.“ Valéry, Paul: La crise de l?ésprit, Première lettre. ?uvres, Vol. 1. Paris 1957. S. 988.  

[2]  Tagesschau. Online: www.tagesschau.de/ausland/afrika/erwartungen-klimakonferenz-cop27-103.html Zuletzt geprüft: 02.01.2023, 23:23 Uhr.

[3]  Digitales W?rterbuch der deutschen Sprache: Abgrund. Online: www.dwds.de/wb/Abgrund. Zuletzt geprüft: 02.01.2023, 23:12 Uhr.

Programm

23. November 2023

12:30 Uhr
Anreise

12:45 Uhr
Begrü?ung und Einführung

Panel 1 - Der Abgrund als Begriff

13:20 Uhr
Prof. Dr. Marko Pajevi? – der Abgrund als anthropologische Kategorie (Tartu, Estland)

13:45 Uhr
Mirjam Wulff – ?Into this wild Abyss". Der Sturz der Engel als Beginn der Geschichte (Berlin)

14:10 Uhr
Diskussion Vortrag 1-2

14:30 Uhr
Kaffeepause

Panel 2 - Der Abgrund in der Sprache

14:50 Uhr
Prof. Mag. Dr. Bettina Rabelhofer – Der Sprachbalken über dem Abgrund. Ann?herung an Bodenloses und seine symbolische Umz?unung (Graz, ?sterreich)

15:15 Uhr
Dr. Swen Schulte Eickholt – H?he, Tiefe und Abgründe. ?ber einen symbolischen Bildbereich in der Literatur (Paderborn)

15:40 Uhr
Diskussion Vortrag 3-4

16:00 Uhr
Kaffeepause

16:20 Uhr
Museumsführung

24. November 2023

Panel 3 - Abgrund als politische Konsequenz

10:15 Uhr
Hannah Wellpott – Blick in den Abgrund. Der Braunkohletagebau und seine Folgen als Sujet in der bildenden Kunst (Cottbus)

10:40 Uhr
Dr. Oliver Benjamin Hemmerle – Abgrund/Ab?me//Abyss als politische/historische Metapher: Un-/Gleichheiten und Un-/Gleichzeitigkeiten von Abgründen (Mannheim)

11:05 Uhr
Dr. Christian Saehrendt – Der Abgrund als Goldgrube. Gesch?ftsmodell Weltuntergang: Geldmaschine und politisches Programm (Thun, Schweiz)

11:30 Uhr
Diskussion Vortrag 5-7

12:00 Uhr
Gemeinsames Mittagessen

Panel 4 - Theoretische ?berlegungen zum Abgrund

13:00 Uhr
Prof. Dr. Hans-Joachim Schott – Die Abgründigkeit der Oberfl?che. Elias Canettis Theorie der (akustischen) Maske (Leipzig)

13:25 Uhr
Prof. Dr. Cornelia Klinger – ?Walle, walle manche Strecke ...“ (Tübingen)

13:50 Uhr
Diskussion Vortrag 8-9

14:15 Uhr
Kaffeepause

Panel 5 - Gesellschaftliche Abgründe

14:25 Uhr
Hans Goerdten – Verharmlosung und moralische Panik - Zwei Haltungen zu Gewalt als Sackgassen der Moderne (Frankfurt)

14:50 Uhr
Dr. Udo Grashoff – "Sprechen am Abgrund. Zur Kommunikation politischer Tabus in der DDR" (Dresden)

15:15 Uhr
Alina Brehm – (K)ein Raum für Abgründe? ?ber die Gegenw?rtigkeit der Shoah und unm?gliche Orte (Frankfurt)

15:40 Uhr
Diskussion Vortrag 10-12

16:10 Uhr
Kaffeepause

16:20 Uhr
Prof. Dr. Michaela K?ttig – Die Ambivalenz der Abgründe. Familiengeschichtliche und biographische Genese extrem rechter Verortung (Keynote)

25. November 2023

Panel 6 - Der Abgrund in seiner globalen Dimension

10:15 Uhr
Dr. J?rg Kraus – Chaos. Der Rachen, der Schlund, der Abgrund (Heidelberg)

10:40 Uhr
Justus P?tzsch – Der Abgrund posthumaner Wirklichkeit. Facetten des Nicht-Menschlichen in der jüngsten Geschichte des Wissens (Mainz)

11:05 Uhr
Milan Weber – "Es wird immer besser ... oder doch nicht?" Menschliche Gewalt, der Widerstand der Natur und das Anthropoz?n in digitalen Spielen mit historischen Settings (Siegen)

11:30 Uhr
Diskussion Vortrag 13-15

12:00 Uhr
Gemeinsames Mittagessen

Panel 7 - Abgrund und Hoffnung

13:15 Uhr
Marcus D?ller – ?Die Unendlichkeit als der Abgrund des Nichts“. Hegels Konzept des radikalen Abgrundes (Erfurt)

13:40 Uhr
Diskussion Vortrag 16

14:00 Uhr
188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网

 

Auswahlbibliographie

  • Datterl, Monika; Guggenberger, Wilhelm; Paganini, Claudia (Hrsg.): Welt am Abgrund: Zukunft zwischen Bedrohung und Vision. Innsbruck 2019.
  • Ebeling, Hans: Der Satz vom Abgrund. Würzburg 2010.
  • Kühn, Rolf: Ungeteiltheit, oder, Mystik als Ab-Grund der Erfahrung: ein radikal ph?nomenologisches Gespr?ch mit Meister Eckhart. Leiden; Boston 2012.
  • Kimmich, Dorothee; Müller, Sabine (Hrsg.): Tiefe - Kulturgeschichte ihrer Konzepte, Figuren und Praktiken, Boston; Berlin 2020.
  • Tappen, Julia: Der Abgrund, vor dem wir stehen: Pl?doyer für eine Metaphysik ?von unten’. In: Analytische und kontinentale Theologie im Dialog. Hans-Joachim H?hn, Saskia Wendel, Gregor Reimann und Julian Tappen (Hrsg.). Freiburg; Basel; Wien 2021. S. 301-323.
  • Tietjen, Ruth Rebecca: Am Abgrund: philosophische Theorie der Angst und ?bung in philosophischer Freiheit. Paderborn 2019.

188bet亚洲体育备用_188体育平台-投注*官网

tagungabgruende[at]gmail.com